Krimis & Thriller

Aus der Traumfabrik Sebastian Fitzeks

Leon Nader litt als Kind unter Schlafstörungen. Schlafwandelnd wurde er einst mit einem Brotmesser in der Hand von seiner Adoptivmutter gestoppt, just bevor er sich dem Bett ihres Sohnes Adrian entscheidend nähern konnte. Leon schien dank intensiver und erfolgreicher Behandlungen diese Episode seines Lebens hinter sich gelassen zu haben. Doch nun wacht er eines Morgens auf und sieht seine Frau Natalie mit einem blauen Auge und äußeren Verletzungen versehen, wie sie ihre Sachen packt und das Haus verlässt. Leon ist sich sicher, dass er einen Rückfall erlitten hat und Natalie im schlafwandelnden Zustand Gewalt angetan hat. Sofort konsultiert er seinen behandelnden Arzt aus Kindertagen, um sein persönliches dunkles Geheimnis zu ergründen.

Sebastian Fitzek hat sich in den vergangenen Jahren zum deutschen Thrillerautor Nummer Eins gemausert. Seine Erfolgsstory begann im Jahre 2006 mit "Die Therapie", seinem Erstling, der sogleich an die Spitze der Bestsellerlisten stürmte. Seitdem hat er jedes Jahr mindestens einen weiteren Thriller geschrieben, der jedes Mal umgehend nach Erscheinen in den Fokus der Öffentlichkeit gelangte. Über die Jahre hat Fitzek die Messlatte für seine Werke selbst ganz weit nach oben gelegt. Er wählt in seinen Büchern stets hochinteressante Themen als Aufhänger, die mitunter einen Hang zum Paranormalen zu haben scheinen, jedoch in Wirklichkeit meist ein noch sehr dürftig erforschtes Gebiet darstellen. Im vorliegenden Buch "Der Nachtwandler" widmet er sich dem Somnambulismus, in Form des schlafwandelnden Leon Nader.

Leon kennt aus den Behandlungen in seiner Kindheit noch die technischen Methoden, dank derer man seine nächtlichen Aktivitäten per Videokamera aufgezeichnet und analysiert hatte. Leon beginnt, auf eigene Faust sein Verhalten zu ergründen. Dabei nutzt er den technischen Fortschritt und besorgt sich eine Mini-Kamera, die er sich vor dem Schlafengehen per Stirnband am Kopf fixiert. So möchte er am nächsten Morgen nachvollziehen können, was er wirklich getan und verbrochen hat. Die ersten Erkenntnisse, die sich ihm am nächsten Morgen am Laptop eröffnen, sind höchst besorgniserregend und lassen sowohl Leon Nader als auch den Leser erschauern.

"Der Nachtwandler" unterscheidet sich gegenüber sonstigen Fitzek-Thrillern doch erheblich in Form und Länge. Mit gerade einmal 300 durchweg recht groß geschriebenen Taschenbuch-Seiten ist Fitzeks neuestes Werk sehr kurz, dafür jedoch durchaus an einem Abend oder in einer Nacht zu lesen, insofern man selbst im Wachzustand verweilen kann. Des Weiteren zieht Fitzek ein für ihn ungewöhnliches Kammerspiel auf. Die Handlung findet ausschließlich in dem Mietshaus statt, in dem Leon und seine Frau wohnen, und wird vollständig aus Leons Perspektive geschildert. Man weicht als Leser dem Protagonisten keinen Schritt von der Seite, und dennoch hat man dabei seine Probleme zu erkennen, ob Leon die geschilderten Szenen tatsächlich im Wachzustand erlebt, ob er träumt oder ob er schlafwandelnd unterwegs ist.

Als Fitzek-erfahrener Leser ist man natürlich stets auf der Hut, da man seit Beginn von Fitzeks Schaffen weiß, dass nichts wirklich ist, wie es beim Lesen erscheint. Wer sich einst in "Die Therapie" derart aufs Kreuz hat legen lassen, der ist einfach skeptisch bei allen Folgeromanen Fitzeks. So liest man auch bei "Der Nachtwandler" stets mit einer gewissen Vorahnung, dass nicht alle geschilderten Szenen im selben Bewusstseinszustand von Leon Nader stattgefunden haben. Jedoch kapituliert der Leser hier recht schnell, da einen die Fülle an wahrscheinlichen Zustandswechseln überfordert. Irgendwann glaubt man nur noch zu ahnen, ob jenes schlafwandelnd stattfand, während dieses geträumt und manches dem schlafwandelnden Zustand geschuldet war.

Doch kann man sich bei Fitzek stets sicher sein, dass sich die im Laufe eines Buches währende Verwirrung durch ein sehr ausgefeiltes Ende in Wohlgefallen auflösen wird. Im vorliegenden Fall wartet der Autor allerdings, ohne etwas vorweg nehmen zu wollen, mit starkem Tobak als Auflösung auf.

Wenn Fitzek-Leser das vorliegende Werk gegebenenfalls als Enttäuschung oder zumindest als ein Buch bezeichnen, an das man sich am Ende seiner Tage nicht mehr primär erinnern wird, dann liegt das vor allem daran, dass Sebastian Fitzek sich durch seine Erfolgsromane die Messlatte eben sehr, sehr hoch gelegt hat. Jedem anderen Autoren würde man gute Arbeit bescheinigen, hätte er ein Werk wie "Der Nachtwandler" vorgelegt. Bei Fitzek jedoch erwartet man etwas Besonderes, ein noch nie dagewesenes Element. Die moderate Kritik, die sich Fitzek für "Der Nachtwandler" gefallen lassen muss, ist letztlich für ihn als Schriftsteller das größte Kompliment, das man ihm aussprechen kann.

Christoph Mahnel 
29.04.2013

 
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Das Buch:

Sebastian Fitzek: Der Nachtwandler

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München: Knaur Taschenbuch Verlag 2013
320 S., € 9,99
ISBN: 978-3-426-50374-4

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