Gedichtbände

Lyrik heute? In einer "poesielosen" Zeit

"Rispen" ist eine Lyriksammlung von Immanuel. Der Band versammelt die Gedichtzyklen Lyrisetten, Dichterklage, Kaleidoskop und Nachkriegsgedichte 1945.

Immanuel treibt der gegenwärtige Zustand der lyrischen Dichtung um. Kann und soll man überhaupt noch Lyrik schreiben angesichts einer "poesielosen Zeit"? "Ist nicht/ Gedichte machen/ Nur noch zum lachen/ Heutzutage/ In der computerzeit?" (Dichterfrage) Und ist es nicht geradezu vermessen, heute noch ernsthaft dichten zu wollen? Nicht bloß weil dem Dichter in "belanglosen Zeiten" das Publikum fehlt, sondern weil dieser schlicht zu spät geboren ist, um noch hoffen zu können, etwas Originelles zu erschaffen: "Was also Freunde bleibt uns/ Das keiner noch erfand?" (An die Spätgeborenen)

Ist nicht auch an das Verdikt Theodor W. Adornos zu erinnern, dass nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, barbarisch sei? Immanuel jedenfalls muss nach dem "schauerlichsten aller Kriege" feststellen: "Sie sind so ernst geworden/ Die dichter dieser Welt/ Inmitten der rauen horden/ Ist ihnen die lust vergällt./ Sie sind so schweigsam geworden/ .../ Sie werden noch stiller werden" (Die Dichter)

All dies nährt des Dichters Klage und doch, trotz alledem, hält Immanuel an der lyrischen Form fest, denn "Was ist/ Ein lyrisches Gedicht?/ Ein glücksfall eine/ Sternstunde/ Sternminute/ Ein augenblick / Da herz und hirn/ zusammenfließen/ Und sprache werden/ Sprache/ In ihre knappste Form gebracht." (Fazit) Also Festhalten an der Form des Gedichts und der Gattung der Lyrik. Aber wie muss ein lyrisches Gedicht für Immanuel beschaffen sein? "Weiß ich’s? Ich meine/ Es  muß vollendet sein./ Aus einem Guß/ Keine Silbe zuviel./ Kein Laut zu wenig/ Chopinmelodie." (Einfach so)

Der selbstgestellte Anspruch an Form und Sprache zeichnet Immanuels Dichtung aus und lässt sie auch angesichts der in der "Dichterklage" erhobenen skrupulösen Einwände gegen die Lyrik bestehen. Gerade in den "Lyrisetten" zeigt sich dabei deutlich der Einfluss, den der Expressionismus auf Immanuel hatte. Einem der großen dieser Epoche, Georg Trakl, erweist er auch persönlich die Reverenz: "Fragt der landmann: war das grauen/ Das sterben das ächzen der hingemähten/ Das elend unter zitternden händen/ Die ströme von blut die tränen der mütter/ War all das nicht länger mehr auszuhalten// Ihr habt meine verse raunt es von drüben/ Die verse sind groß und beispiellos" (Hommage an Georg Trakl)

Es sind der Glaube - so etwa in "Gewissheit" und "Gebet" - wie auch die Liebe - beispielsweise in "Das wahre Wunder" und "Wenn" - die den Dichter auch angesichts der selbst erlittenen Schrecken des Zweiten Weltkrieges nicht in Verzweiflung versinken lassen und ihn ein Hohelied auf das Leben und das Menschsein selbst anstimmen lassen: "MENSCH SEIN/ HEISST FREI SEIN/ FREI SEIN/ HEISST PFLICHT/ zu leben/ zu lachen/ zu lieben" (Was not tut - ce qu’il faut)

Abgerundet wird dieses außergewöhnliche Zeugnis für die Kraft und Bedeutung der Dichtkunst durch Abbildungen von Bildern und Skulpturen, die ebenfalls von der Hand des Autors stammen und dem Leser so einen Einblick in das vielfältige künstlerische Schaffen Immanuels vermitteln.

Dominic Gaschler
30.06.2014

 
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Das Buch:

Immanuel: Rispen

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Frankfurt: August von Goethe Literaturverlag 2014 118 S., € 16,80 ISBN-13: 9783837214246

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