Gedichtbände

Strenges Staunen

Lyriker, dem Naturell nach Lyriker, leben lebenslang für die Lyrik. Von der Lyrik leben sie nicht - einige Namhafte ausgenommen. Keiner der Namhaften schreibt wie Martin Jankowski Lyrik seit gut einem Vierteljahrhundert. Nun ein Mann mittleren Alters, nennt BBC den Autor eine interessante Stimme einer neuen Generation ostdeutscher Schriftsteller. Wem die magere Andeutung genügt, hat zumindest einen guten Grund, sich um die "gedichte und gesänge" zu kümmern, die soeben gesammelt in dem schmalen Band "sekundenbuch" erschienen.

"Martin Jankowskis poetisches Thema ist die Unfassbarkeit des Lebens", wirbt der Verlag für den Lyriker. Na ja! Wenn das nicht die Sache der ernsten, ernstzunehmenden Literatur ist: Die Unfassbarkeit des Lebens fassbar zu machen. Zumindest für einen, dem das Unfassbare berechtigt Angst und Schrecken einjagt. Für einen also, den das Unfassbare ständig herausfordert, der das Unfassbare stets herausfordert. Das ist die Aufgabe des Martin Jankowskis. Sein literarisches Aufbegehren kann ein lyrischer Aufschrei sein. Der Lyriker legt sich nicht die Schlinge um den Hals. Seine Verse sind Versuche, den Kopf aus der Schlinge herauszuhalten. Ganz mit dem Existenziellen beschäftigt, ist Jankowskis Dichtung eine Lyrik des Existenziellen. Keine Poesie eines Lebensprogamms, ist sie eine, die aus den Programmen des Lebens gemacht ist. So wird das Unfassbare fasslich wie das Fassbare unfasslich.

Stimmt die Stimme Jankowskis Weltuntergangsstimmung an, ruft er sich zugleich zur Räson. Sagt er, "an einem ende" zu sein, sagt er nicht, dass die Welt untergeht. Im Konkreten, Realen, Wissenschaftlichen ist für Jankowski Halt genug. Der Halt, der ihm die Chance gibt, sich von der Erdenschwere zu lösen, um in den Himmel der poetischen Phantasie zu schweben - Schatten werfend auf die Erde. Nichts da - oder nicht genug - von der Leichtigkeit lyrischen Seins? Nichts Feierliches, wenn "die feste steigen"? Wenn die Sänger in die Stadt kommen und stumm werden, wo alles schmerzlich ist "wie das lachen / der anderen"? Alles Verse vom Verlassensein?

Martin Jankowski ist kein hoffnungslos Verlassener, Sichverlierender. Dem Unfassbaren nicht gegenüber, mittendrin im Unfassbaren, ist er ein Staunender. Ein strikt, streng Staunender, der sich ein Welt-Bild-Panorama fürs Staunen schafft. Für wen? Für die Leser, die das "sekundenbuch" in die Hand nehmen. Ein Geschenk für die, die zum Staunen bereit und fähig sind. In Sekunden ist das nicht zu haben. Schon gar nicht, wenn die Gedichte vorüberziehen wie Gewitterwolken voll der grauen Gedanken. Erhebend die erhellenden Blitze, die nicht erschrecken. Die Gedankenblitze sind der Lichtschein der Nachdenklichkeit, den Martin Jankowski um sich verbreitet.

Der "arme Poet" von Heute lebt in der unverklärten Wirklichkeit. Für ihn gibt es auf der Erde keine Ecke der kuscheligen Idylle. Jedenfalls keine, die er beschreiben könnte wie einen Schmetterlingsflug. Jankowski vermeidet, wo und wie er es kann, die poetischen Huldigungsvokabeln, die da lauten: Himmel, Sonne, Sterne ... Was nicht heißt, das Gemüt zu schädigen, sich wehleidigem Weltschmerz hinzugeben. Martin Jankowskis Dichtung distanziert sich von der Wehleidigkeit. Er schreibt mit analytischem, anschaulichem Sinn ohne Sentimentalität. Wenn das keine Dichtung ist, die nicht für das "Prinzip Hoffnung" plädiert. Hoffnung lesbar gemacht für Stunden im "sekundenbuch"! Wahrlich nichts fürs Poesiealbum. (Gibt's das denn noch?) Das "sekundenbuch" von Martin Jankowski ist etwas für Leser, die sich gern etwas sagen lassen, was sie noch nicht gehört haben.

Bernd Heimberger
16.04.2012

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Martin Jankowski: sekundenbuch. gedichte und gesänge

CMS_IMGTITLE[1]

Leipzig: Leipziger Literaturverlag 2012
104 S., € 16,95
ISBN: 978-3-86660-144-4

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.