Erzählbände & Kurzprosa

Vom Erben und anderen Katastrophen

Wir haben es alle schon erlebt oder werden es noch erleben: Beim Erben droht Ärger. Eine Betroffene, die nach allen Regeln der Kunst ausgetrickst wurde, klagt ihr Leid und beschreibt die sich daraus ergebenden familiären Verwüstungen.

In ihrer autobiografischen Erzählung beschreibt Gisela Editha Dubberké den wirr gewebten Kokon ihrer Zeit und ihrer Familiengeschichte. Sie beginnt mit ihrer Geburt als ekzemgeschädigtes Kleinkind (Psoriasis oder Neurodermitis), ihre ungleichgewichtigen Familienverhältnisse, die Liebe des Vaters, die Ablehnung der Mutter, das Scheitern ihrer ersten Ehe und das große Glück mit ihrem zweiten Ehemann, der als Invalide aus dem Krieg heimkehrte.

Mit ihrem ersten Ehemann hatte sie ein Kind, Eva, das unter traumatisierenden Umständen für die Mutter zur Welt kam. Durch familiäre Widrigkeiten seitens ihres Mannes und ihrer Familie kommt es zu einem Suizidversuch der Protagonistin: "An einem kalten Wintertag versorgte ich das Kleinkind, wartete bis es tief atmete und schluckte dann die Schlaftabletten, eine nach der anderen, mit viel Geduld, ganz langsam, um nicht zu erbrechen - danach lief ich in die Dunkelheit."

Durch einen glücklichen Umstand wird sie im Schneetreiben von einem Autofahrer zufällig entdeckt und gerettet. Sie schreibt danach: "Heute bin ich überzeugt, dass meine Lebensuhr noch nicht abgelaufen war - ich hatte eine Aufgabe auf Erden. Sie sollte mir 18 Lenze später begegnen und 34 Jahre ausfüllen mit Freude und unendlichem Schmerz. Erst die Erkenntnis, nicht ganz unnütz auf diesem Planeten gewesen zu sein, ergibt für mich einen Sinn des Geborenwerdens!"

Die Ich-Erzählerin, die teilweise auch auktorial erzählt, muss in der Folge mit ansehen, wie ihre Familie sie nach und nach um den gerechten Teil am Erbe betrügt. Die daraus resultierenden Ressentiments werden eindrücklich geschildert. Nur mithilfe ihres zweiten Ehemannes Gustav, der trotz seiner körperlichen Handicaps stets gelassen bleibt und über den Dingen steht, gelingt es ihr, das Gleichgewicht zu bewahren. Es werden alle Mitglieder ihrer angestammten Familie porträtiert und nach ihrem zwischenmenschlichen Verhalten beurteilt. Sie schreibt: "Ich schämte inich für ineine Sippschaft in Grund und Boden, aber eigentlich passte es zu ihnen. Akademische Bildung hat eben mit Herzensbildung nichts zu tun."

Die mittlerweile über 80-jährige, die wie ihre Familie aus Ostdeutschland stammt, hat zum Glück alles leidlich überstanden. Ihre Geschichte und ihre Beurteilung der Ereignisse geht post mortem an die verstorbenen Familienmitglieder, aber auch an die noch lebenden und an alle, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.

Manfred Enderle
22.04.2014


Die Lesung im Deutschen Literaturfernsehen finden Sie hier.

 
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Das Buch:

Gisela Editha Dubberké: Im Kokon des Zeitgeschehens

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2014
105 S., € 11,80
ISBN: 978-3-8372-1376-8

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