Erzählbände & Kurzprosa

Deutschlandreise

Die Tristesse seiner Hamburger Wohnung und der Schriftzug "Enjoy Gemütlichkeit" auf dem Banner einer nordamerikanischen Blaskapelle veranlassen Philipp Kohlhöfer, sich auf die Suche nach dem Geheimnis des typisch deutschen Phänomens "Gemütlichkeit" zu begeben. Jedoch stellt es sich schwieriger dar als zunächst gedacht, weder in der trinkseligen Runde seines Nachbarn noch im Freibad seiner mittelhessischen Heimat findet er Gemütlichkeit. Diese verzweifelte Suche ist der Ausgangspunkt für eine Ansammlung von humorvollen Anekdoten, die Kohlhöfer in seinem ersten Buch "Grillsaison" zum Besten gibt.

Philipp Kohlhöfer ist nach seinem Politik- und Geschichtsstudium in Gießen die journalistische Karriereleiter peu à peu nach oben geklettert. Seine vielfältigen Reportagen und Kolumnen finden sich mittlerweile in zahlreichen angesagten Magazinen der deutschen Presselandschaft wieder, u.a. 11Freunde - Magazin für Fußballkultur, Playboy und Neon. Spiegel-Online-Leser wissen seine sehr individuell beobachteten Erzählungen in der Rubrik "einestages" zu schätzen. Mit "Grillsaison" hat er nun viele dieser Geschichten in Form eines Buches zusammengebracht und zu einem runden Bild zusammengefügt.

Kohlhöfer selbst würde gemäß Florian Illies` Definition zu den Letztgeborenen der Generation Golf gehören: Im mittelhessichen Niemandsland hat er seine Kindheit in den späten Siebziger und frühen Achtziger Jahren verbracht, seine Pubertät wurde von Tschernobyl und den Folgen überschattet, während erste Avancen bei den hübschesten Mädels aus den Nachbarndörfern rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 noch unbeantwortet blieben. Seine Episoden werden aber nicht nur bei den Lesern für größte Erheiterung sorgen, die in einer ähnlichen Zeit und unter ähnlichen Umständen aufgewachsen sind!

Kohlhöfer lässt mit seinen Erzählungen vom Beat-Abend und der Zeltdisco die Vergangenheit wieder aufleben und analysiert deren retrospektive sentimale Verklärtheit. Seine Schilderung vom Aufkommen der Techno-Bewegung in Frankfurter Underground-Clubs zu Beginn der Neunziger Jahre strahlt vor lauter Pioniergeist. Er thematisiert auch die hochgradige Peinlichkeit, die wahrscheinlich jedem Deutschen im englischsprachigen Ausland schon einmal passiert ist: Hohn und Spott, der einem entgegenschlägt, ob der Tatsache, dass es David Hasselhoff in Deutschland zum Star geschafft und auf der Berliner Mauer zu "I’ve been looking freedom" rumgehopst ist.

Natürlich dürfen auch nicht die pauschalen und gut gepflegten Vorurteile über Deutsche fehlen, Kohlhöfer hat sie alle am eigenen Leib erfahren dürfen: teutonische Touristen auf Mallorca, die bereits in der Morgendämmerung oder noch davor ihre Liege am Pool mit einem Handtuch reservieren, sowie die deutscheste und verurteilungswürdigste Strategie von allen, sich nämlich als Deutscher im Gespräch mit Ausländern über deutsche Eigenheiten zu ereifern - so geschehen bei einem Pressetermin und gemeinsamen Essen mit Nelly Furtado.

Der Leser wird sich im vorliegenden Buch ständig selbst dabei ertappen, wie er entweder einen nostalgisch verklärten Blick aufsetzt, sich peinlich berührt fühlt oder auch zustimmend nicken wird. Dies alles ist der Verdienst Kohlhöfers, der ein hervorragender Beobachter ist, seine Eindrücke scharfsinnig seziert und köstlich aufbereitet hat. Auf jeden Fall werden mittelhessische Landeier, die als mittlerweile Enddreißiger den Sprung in die große Stadt gewagt und geschafft haben bei der Lektüre dieses Buches einige höchst amüsante Stunden verbringen - alle anderen aber auch!

Christoph Mahnel
22.02.2010

 
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Das Buch:

Philipp Kohlhöfer: Grillsaison. Meine Reise durch die Heimat

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München: Goldmann Verlag 2010
288 S., € 8,95
ISBN: 978-3-442-12997-3

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