Briefliteratur & Tagebuch

Ein sich Öffnen und Suchen

Es gehört zu den seltener gepflegten Angewohnheiten, sich nach dem Tagewerk hinzusetzen und seine Gedanken noch einmal den vergangenen Ereignissen zuzuwenden, ehe man hinausblickt auf das, was am anderen Morgen kommt. Noch seltener ist es, über den eigenen Tellerrand zu blicken und von dem, was einem am Tag begegnet ist, auf weitere und größere Zusammenhänge zu schließen, sein eigenes Leben in das Leben von Gemeinschaften zu stellen. Genau dies leistet Hermann Alfred Denzel in seinem Band. Herausgekommen sind Gedanken zum eigenen Leben, zur Gesellschaft, zu großen und kleinen Problemen, gekleidet in verschiedene literarische Formen, vom Gedicht zur Prosa über Aphorismen. Wir begleiten den Autor durch eine Art literarisches Tagebuch vom November 1999 bis zum 8. September 2001 und der Wandel in den Jahreszeiten ist nicht der einzige, von dem in diesem Buch die Rede ist.

Wer sind wir, wohin gehen wir, was ist das Ziel unserer Reise - die Grundfragen des Menschenlebens werden aufgegriffen und beleuchtet. Wir lernen gute und schlechte Tage kennen, kleine, bescheidene Gedanken und große Vorstellungen, heitere Gelassenheit, aber auch Betroffenheit und tiefes Nachdenken über das Unrecht in der Welt.

Genie, Kunst, Dummheit, Glück, Erfolg, die berühmten drei Affen (nichts sehen, nichts hören, nichts sagen), das wirklich Gute, Ordnung, Fortschritt, Glaube - das ist nur ein Ausschnitt aus der Themenpalette Denzels. Zwischendurch scheint auch einmal der Arzt aus den Zeilen heraus. Der Beruf führt zu einer starken Sensibilität, einem Hinfühlen auf die kleinen Unausgewogenheiten, die sich im Lauf der Jahre aufsummieren können zu Störungen, die das gesamte Leben beeinflussen und manchmal spitzt auch ein kleiner Ratschlag durch die Zeilen (beim Apfel!).

Denzel analysiert klar den Wurm, der an unserer Menschen- und Gesellschaftswurzel nagt, beleuchtet den Egoismus und das zunehmend flacher werdende Denken, unsere Scheu davor, Dinge beherzt anzupacken, ja gar mit der Hand wirklich zu er-greifen. Wer nicht aktiv und handelnd sein Leben anpackt, wird es weder be-greifen noch daraus seine Persönlichkeit formen können, denn das geht niemals wie das Bilden von Herzformen aus weicher Butter, sondern ist immer das Ergebnis von Erfahrung, bewältigtem Schmerz, überstandenem Leid und einer großen Reibung, die unsere Ecken und Kanten glättet. Das alles geschieht weder von heute auf morgen noch gelingt dies ohne Anstrengung oder gar ohne die eine oder andere Beule.

Denzels Standpunkte lassen sich klar nachvollziehen, er hat in seinem Beruf gelernt, die Dinge so auszudrücken, dass sie ankommen. Nicht jedem mag es gefallen, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, im tiefsten Herzen aber gesteht man dann doch ein, dass Denzel so unrecht nicht hat.

"Warum willst du eigentlich nicht das, was du kannst, weißt du, dass du dich selber auf die Folter spannst? Warum kommst du nicht endlich und wirklich zum Leben? Wolltest du nicht schon immer nur dein Bestes geben?" Keiner von uns lebt wirklich immer so, dass er diese Gedanken nicht von Zeit zu Zeit nötig hätte. Hausputz auch im Inneren schieben wir so gern hinaus, haben wir uns dann aber doch aufgerafft, erfreuen wir uns an lang verloren Geglaubtem, am Glanz und an der Tatsache, dass wir doch ein paar längst fällige Spinnennetze entfernt haben.

-csc
03.11.2002

 
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Das Buch:

Hermann Alfred Denzel: Wandel der Menschheit und des eigenen Lebens. Ansichten und Einsichten eines deutschen Nervenarztes am Beginn des 21. Jahrhunderts

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Frankfurt am Main: Fouqué Literaturverlag 2001 68 S. ISBN: 3-82675098-5

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