Briefliteratur & Tagebuch

Eine Liebe im Exil

Im vergangenen Jahrzehnt hat der FC Bayern München, der deutsche Serien- und Rekordmeister und das Aushängeschild des deutschen Fußballs, sich seiner Wurzeln besonnen und auf eine Zeit fokussiert, in der Titel und Triumphe dem Verein noch nicht wie reife Früchte in den Schoß fielen. Anno 1932 gewann der FC Bayern seine erste und für die kommenden 37 Jahre einzige deutsche Meisterschaft. Als Präsident und Mastermind hinter diesem Erfolg stand Kurt Landauer, der Präsident des Clubs. Geboren 1884 in der Nähe von München war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns nach einer kurzen und überschaubaren aktiven Karriere im Verein bereits 1913 zum Präsidenten erkoren worden, allerdings ob seiner Vaterlandsverpflichtungen im Ersten Weltkrieg nur für rund ein Jahr. Sein zweites Engagement auf diesem Posten startete er 1919 und entwickelte dabei den FC Bayern erstmals zu einer Macht im deutschen Fußball. Doch nur gut ein halbes Jahr nach dem Final-Triumph gegen die Frankfurter Eintracht übernahmen bekanntermaßen Hitlers Schergen die Macht in Deutschland und beendeten Kurt Landauers Ära und damit den Höhenflug des FC Bayern.

Während vier seiner Geschwister den Tod durch die Hand der Nazis fanden, gelang es Kurt Landauer, noch kurz vor Kriegsbeginn in die Schweiz zu fliehen. Dort verbrachte er acht Jahre im Exil, bevor er schließlich im Sommer 1947 nach München zurückkehren konnte, um nur wenige Wochen später erneut zum Präsidenten des FC Bayern gewählt zu werden. Lange Zeit blieb die Bedeutung Kurt Landauers für den FC Bayern zwischen verstaubten Chronikeinbänden in den Archiven größtenteils unentdeckt. Erst vor gut zehn Jahren sorgten einige, auch vom FC Bayern selbst unterstützte Initiativen dafür, dass dieser Teil der Vereinsgeschichte einer näheren Betrachtung unterzogen wurde. Filme und Dokumentationen entstanden, Landauer wurde posthum zum Ehrenpräsidenten ernannt, eine Bronzestatue ziert seit kurzem das Trainingsgelände des FC Bayern. Ultra-Gruppierungen des FC Bayern, vorrangig die "Schickeria", sorgen mit verschiedentlichen Aktionen dafür, dass Landauer ein ehrendes Andenken bewahrt wird.

Eine Art "Dachbodenfund" führte nun zu weiteren Einblicken in das Leben Kurt Landauers. Die Nichte seiner späteren Ehefrau Maria Baumann hatte sich mehr als sieben Jahrzehnte nach Kriegsende dazu entschlossen, den sehr umfangreichen Briefwechsel zwischen ihrer Tante und Landauer während dessen Genfer Exils der Öffentlichkeit zu übergeben. Diese dem Jüdischen Museum München übertragenen Quellen waren natürlich ein Segen für die Erforschung der damaligen Zeit. Jutta Fleckenstein, eine Historikerin und Kuratorin an besagtem Museum, sowie Rachel Salamander, eine Literaturwissenschaftlerin und Expertin auf dem Gebiet jüdischer Literatur, haben sich dieser Aufgabe angenommen und das Material gesichtet und aufbereitet. Herausgekommen ist dabei das vorliegende, beim Insel Verlag erschienene Werk "Kurt Landauer - Präsident des FC Bayern".

Wie man sich leicht vorstellen kann, bedarf ein solches Konvolut an Briefen eines sehr intensiven Studiums, um die Zeilen, die sich zwei Wissende schreiben, in einem allgemein verständlichen Kontext einordnen zu können. Hierin brillierten die beiden Herausgeberinnen mit ihrem außerordentlichen wissenschaftlichen Hintergrund.

Das vorliegende Buch ist in drei Hauptteile sowie einen sehr umfangreichen Anhang gegliedert. Im ersten Teil wird der Lebensbericht Kurt Landauers, den dieser von Oktober 1944 bis Januar 1945 noch zu Kriegszeiten als kommunikative Einbahnstraße für Maria Baumann verfasst hatte, wiedergegeben. Dieser endet mit einer Heiratsanfrage Landauers an die Frau, die - immerhin 15 Jahre jünger als er - vor dem Krieg als Haushaltshilfe bei den Landauers tätig war. Im zweiten Teil findet sich ein intensiver Briefwechsel zwischen Landauer und Baumann wieder, der die Jahre 1946 und 1947 umfasst und sich hauptsächlich mit den Planungen und Herausforderungen der beiden für eine kommende gemeinsame Zeit in München beschäftigt. Dabei wird deutlich, wie außergewöhnlich Landauers Anliegen war, als Jude im Exil wieder in seine Heimat zurückkehren zu wollen, und wie beschwerlich, die Hürden des deutschen und schweizerischen Amtsschimmels zu meistern.

In einem dritten Teil finden sich schließlich noch mehrere Briefe aus der Zeit nach Landauers Rückkehr zwischen Maria Klopfer, Maria Baumann und Kurt Landauer. Maria Klopfer war es nämlich, der Landauer einst überhaupt die Möglichkeit verdankte, in der Schweiz ein Exil zu finden. Das Buch wird komplettiert durch einen stark bebilderten Anhang, durch den der Leser Gesichter zu den vielen Personen erhält, von denen in den Briefen die Rede ist.

Für den Leser wäre es in der Tat sehr beschwerlich, wenn nicht sogar unmöglich gewesen, alleine aus den Briefen substantielle Informationen zu ziehen. Die Aufbereitung durch Fleckenstein und Salamander sorgte für unzählige Fußnoten zu den Briefen, die mit Tonnen an Informationen dafür sorgen, dass für den Leser ein Kontext zu den Briefen geschaffen wird. Natürlich muss der Leser bei vielen Seiten im Buch, auf denen sich mehr Anmerkungen als Brieftext befinden, die Herausforderung meistern, diese einzuordnen und sich nicht aus dem Lesefluss der Briefe bringen zu lassen. Dies bedarf tatsächlich einer gewissen Eingewöhnungszeit für den Leser. Hat man diesen Punkt allerdings erfolgreich überwunden, offenbaren sich einem sehr viele Details aus den Schwierigkeiten des Alltags, die Menschen während, aber auch nach dem Krieg zu überwinden hatten. Darüber hinaus ist es natürlich sehr amüsant zu lesen, wie viel Liebesgeflüster ein Präsident des FC Bayerns zu hauchen vermag.

Christoph Mahnel 
14.06.2021

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Jutta Fleckenstein, Rachel Salamander (Hg.): Kurt Landauer - Der Präsident des FC Bayern. Lebensbericht und Briefwechsel mit Maria Baumann

CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Insel Verlag 2021 379 S., € 28,00 ISBN: 978-3-458-17889-7

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.