Ratgeber

Autorenratgeber

Hatte der Herausgeber eine besondere Idee, der vorhandenen Literatur über das Gedichteschreiben ein eigenes Buch hinzuzufügen, das er auch gleich in seinem Selbstverlag herausgebracht hat? Die Zusammenstellung der acht meist unbekannten Beiträger gibt bereits einen gewissen Aufschluß: Nico Bleutge ist Promotionsstudent, Theo Breuer tritt als Autor von sieben Gedichtbänden auf, Timo Brunke ist Teilnehmer an zahlreichen Slams in verschiedenen Städten gewesen, über Kai Lüftner heißt es u.a.: "Lesungen, Kabarett, Konzerte, Workshops, Kurse. Auftragsschreiber für Privatkunden, Werbung, Quizshows, Radio. Mag Rote Grütze, seinen Kater Max und lebt in Berlin" ...

Der Herausgeber Titus Müller, selbst noch Student, bekennt in seiner Vorbemerkung: "Dieses Buch hat viele Stärken. Sie werden beim Lesen immer wieder Anregungen finden, die Sie für Ihren Weg als Lyriker gut gebrauchen können."

In der Tat findet der Leser, der sich ernstlich für die Poesie interessiert, höchst unterschiedliche Anregungen, etwa daß es beim Dichten auf Kreatürlichkeit ankomme und nicht darauf zu publizieren (S. 93). In Kapitel 3 war dagegen zu lesen, daß es wichtig sei zu publizieren, wenn nötig auch Quizfragen und Werbetexte, um an Geld zu kommen.

Der Leser staunt abermals, wenn er feststellt, daß er einen Ratgeber "Gedichte schreiben und veröffentlichen" gekauft hat, der sich die Behauptung zu eigen macht, daß Lyrik unverkäuflich ist (S. 131). Ein klassischer Fall von Realsatire?

Schließlich sollte der publikationswillige Dichter, der keinen Verlag finden kann, sich der letzten Alternative, der Beauftragung eines sog. Zuschußverlags, verschließen (S. 134). Der Herausgeber zitiert eine Seite vorher Werner Schmid als Verlagsleiter und Gewährsmann für die Verhältnisse des Verlagsbuchhandels; dabei empfiehlt er durch Beifügung der nicht eigentlich notwendigen Anmerkung
"vom W i e s e n b u r g – V e r l a g" [Sperrung im Buch] gerade einen jener Verlage, die als Zuschußverlage bekannt sind. Welch’ sublime Form der Leserveräppelung und des Hinterslichtführens!

Selbst leicht Nachprüfbares wurde nicht nachgeprüft, wenn es auf S. 97 heißt, "Kürschners Literaturkalender" sei "exzellent ediert" und von anderen Verzeichnissen sei dringend abzuraten (warum das eigentlich, wo richten Schriftstellerverzeichnisse einen Schaden an?). Denn das altrenommierte Autorenverzeichnis "Kürschner" kennt keine Qualitätskriterien, und buchstäblich jeder, der sich als Autor anmeldet, wird verzeichnet. Gleichwohl teilte die Redaktion des "Kürschner" in der ersten vom K. G. Saur veranstalteten Auflage mit, daß sie nicht wenige Schriftstellereinträge gesammelt, diese jedoch noch nicht abgedruckt habe. Im knapp DM 600,00 teuren Buch fehlende Einträge – exzellent ediert? Man müßte über eine solche Behauptung staunen. Und darüber, wie unkritisch und ungeprüft einmal mehr verbreitete Meinungen mit Stentorstimme herumposaunt werden und daß diese sich zu allem Überdruß auch noch mit ebenso unberechtigten und nicht überprüften Verdikten verbinden. Das Staunen des Rezensenten richtet sich indessen auf die Jugend der Herausgeber und Autoren, die sonst bekanntlich nicht zum Nachbeten neigt, sondern zu Kritik und Aufmüpfigkeit.

Wenn das Buch den Leser unter seinem zweiten Imperativ ("veröffentlichen") ratlos zurückläßt, wie sieht es mit den vom Herausgeber angepriesenen Stärken des Buchs zum Thema des Schreibens von Gedichten aus? Einiges ist hilfreich, etwa die Ermutigung zum Schreiben: "Lernen Sie, lernen Sie, was Sie möchten – und dann schreiben Sie weiter, auf Ihre Weise, vielleicht ein wenig verwandelt durch dieses Buch."

Großtönende Versprechungen können indes ein Konzept nicht ersetzen, für dessen Auffindung hier man bei hellem Tage Lichter anzünden müßte. Die Idee zu einem Buch ist eben nicht gleich ein Buch. Da der Herausgeber anderen Autoren Ratschläge für teuer Geld verkauft, muß er sich vom Leser ins Stammbuch schreiben lassen, daß ein Ziel fast getroffen in jedem Fall daneben ist und daß es einen Sonderbonus in der Beurteilung auch für Studenten nicht geben kann, wenn sie sich in der Öffentlichkeit als Autor, Herausgeber und Verleger gerieren.

Sich in Tatsachen widersprechende Beiträge sind keine Vielfalt, sondern Planlosigkeit und möglicherweise beschränktes Beiträgercasting. Akademische Erläuterungen wie: "Antonomasie – Eine auf Eigennamen angewandte Trope, verwandt der Periphrase oder Synekdoche" oder Einlassungen zum Unterschied zwischen Postmoderne und Postpostmoderne helfen einem an das allgemein gebildete schreibende Publikum gerichteten Ratgeber auch nicht auf, der in seiner Hilflosigkeit offensichtlich selbst manchen Rat bitter nötig hätte.

job
04.01.2002

Anm. der Redaktion: Der Herausgeber und Selbstverleger des Bandes, Titus Müller, forderte die Redaktion auf, das nach wie vor lieferbare und beworbene Buch nicht zu besprechen. Die Redaktion kann sich nun im Rahmen der Pressefreiheit nicht vorschreiben lassen, Rezensionen zu unterdrücken. Herr Müller legt dabei Wert auf die Feststellung, daß es sich nicht um eine Auftragsrezension handelt, zu der er selbst den Auftrag erteilt hätte. Es ist richtig, daß es sich um eine freie Rezension ohne besonderen Auftrag eines Dritten handelt. Der Leser wird anderes auch nicht vermuten.

Die Redaktion wird in den nächsten Ausgaben weitere sog. Autoren-Ratgeber vorstellen, die in immer neuen Variationen das Informationsdefizit der noch nicht etablierten Autoren mit zum Teil laienhaften Tips und unzutreffenden Informationen zu Geld machen.

 
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Das Buch:

Titus Müller: Gedichte schreiben und veröffentlichen

CMS_IMGTITLE[1]

München: Federwelt Verlag 2001
152 S.
ISBN: 3-934488-12-9

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