Autobiographie

Ein Bankräuber packt aus

Reiner Laux führte im Gießen der Achtziger Jahre das Leben eines Bohemiens, dem stets das Wissen um einen nicht versiegenden Weinvorrat in seiner Wohngemeinschaft wichtiger war als eine monetäre Absicherung, mit der er ein angepasstes bürgerliches Leben hätte führen können. Eine seiner fünf Mitbewohnerinnen schleppte eines Tages im Jahre 1984 einen jungen Perser mit in die WG ein, der elf Monate lang sündhaft teure Telefonate in die Heimat führte und auch seinen Mietzahlungen überhaupt nicht nachkam, so dass die WG-Kasse im Februar 1985 ein sattes Minus von 7.000 DM aufwies. Kurz vor dem Rauswurf aus der Wohnung kursierte in der WG die abwegige Idee eines Banküberfalls als Lösung aller Probleme. Gesagt, getan: Laux fuhr mit dem Zug nach Frankfurt, raubte eine Bank aus, anschließend flugs mit dem Zug zurück nach Gießen, um dort gerade noch pünktlich die Schulden zu begleichen und die WG zu retten.

Den jungen Lebemann überraschte vor allem die Einfachheit und Leichtigkeit, mit der sich eine Bank um einen nicht unerheblichen Betrag erleichtern ließ. Im Nachhinein scheint ihm diese Erkenntnis ein sehr elementarer Grund dafür gewesen zu sein, dass er die Karriere eines Bankräubers einschlug. In den folgenden zehn Jahren überfiel Reiner Laux insgesamt 13-mal eine Bank in Deutschland, bevorzugt in wuseligen Großstädten wie Frankfurt und Köln. Einige Banken beehrte Laux sogar mehrere Male. Zu seinem Markenzeichen geriet eine Zorro-Maske, die er bei seinen Kurzauftritten in den Schalterräumen trug. Mit dieser Verkleidung schaffte er es bis in die BILD-Zeitung. Aber erst die Denunziation durch einen eifersüchtigen Kleinstadt-Ganoven, dem Laux die Freundin abspenstig gemacht hatte, brachte die Polizei schließlich auf die richtige Spur.

Die Idee, ein Buch über die Lebensgeschichte eines Bankräubers herauszubringen, erscheint höchst ungewöhnlich. Als Leser hautnah mitverfolgen zu können, wie ein Bankräuber seine Verbrechen plant, seine Mitmenschen über sämtliche Aktivitäten im Unklaren lässt, mit unguten und mulmigen Gefühlen im Vorfeld eines Überfalls umgeht und den Raub schließlich durchführt, all dies macht "Hinter blauen Augen" zu einem absolut lesenswerten Buch. Jedoch werden sich im Laufe dessen dem rechtschaffenen Leser garantiert die Fragen stellen, ob man mit einem Outlaw mitfiebern darf, wenn er die Gemeinschaft betrügt und sich auf ihre Kosten ein schönes Leben in Portugal macht, und ob man das Buch eines Mannes, der bezüglich seiner Taten nur wenig Reue zeigt, nicht besser in die Ecke pfeffern sollte?

Reiner Laux führt entschuldigend seine Lebensgeschichte an als jemand, der in den Fünfziger und Sechziger Jahren unter seinem gnadenlosen und gewalttätigen Vater, einem ranghohen Bundesgrenzschutzoffizier, litt, dessen älterer Bruder als Banker Karriere machte und zum Stolz der Familie emporschwang. Erschwert wurde Laux das Ausleben seiner freiheitsstrebenden Gedanken durch die Bundesrepublik der damaligen Zeit, in der Wehrdienstverweigerer ganz unverblümt von Weltkriegs-Veteranen und Alt-Nazis mit hochgradig diffamierenden Bemerkungen stigmatisiert wurden. Laux selbst fühlte ganz im Sinne Bertolt Brechts, der einst in der Dreigroschenoper fragte: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" So verwendet Laux über das gesamte Buch hinweg die Differenzierung zwischen einem illegalen Bankräuber, also einem wie ihm, und einem legalen Bankräuber, nämlich einem Banker, der sich mit den Mitteln und Produkten einer Bank fremdes Kapital unter den Nagel reißt und zu eigen macht. Kaum verwunderlich, dass Laux' Bruder in dem Abschnitt mit Bildern aus dem Familienalbum konsequent auf einen dunklen Balken über seinen Augen bestanden hat.

Laux' Schilderungen über sein wildes, von Banküberfällen finanziertes Leben wecken bei dem einen oder anderen sicherlich Neidgefühle. Unter der Sonne Portugals in den Tag zu leben, die Nächte durchzufeiern, zahllose Frauen zu verführen, das alles konnte sich Laux in seinem Jahrzehnt als Bankräuber leisten. Dass er überhaupt so lange dieses Leben führen konnte, grenzt an ein kleines Wunder. Seine Schilderungen befriedigen auf jeden Fall die Gedankenspiele von Menschen, die sich fragen, wie man außer mit Lottospielen aus dem Hamsterrad der täglichen Arbeit entkommen kann. Glücklicherweise gar nicht, mag man am Ende von "Hinter blauen Augen" konstatieren, denn das finale Kapitel weiß von einer siebeneinhalbjährigen Zeit hinter schwedischen Gardinen zu berichten, dort wo Laux Günter Wallraff kennenlernte, der für das vorliegende Buch ein Nachwort verfasst hat. Doch auch er kann nicht verhindern, dass man als Leser die vorzüglich zu lesende Geschichte eines modernen Jesse James in Windeseile konsumieren wird.

Christoph Mahnel
10.11.2014

 
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Das Buch:

Reiner Laux: Hinter blauen Augen - Bekenntnisse eines aufrechten Bankräubers

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München: Heyne Verlag 2014
304 S., € 14,99
ISBN 978-3-453-26927-9

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