Autobiographie

Ein Schicksal von 1945

Die Gefühlswelt eines ganzen Lebens in 33 Tagen: Bärbel Probert-Wright erzählt in "An der Hand meiner Schwester" ihre persönliche Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Es ist die wahre, mitreißende und aufrüttelnde Geschichte der siebenjährigen Bärbel, die sich mit ihrer zwölf Jahre älteren Schwester Eva zu Fuß auf den Weg macht, um ihre Mutter zu finden. Über einen Monat kämpfen sie sich durch das Deutschland von 1945, ein Land am Rande der Anarchie. 

Probert-Wright nimmt den Leser mit auf ihre eigene, persönliche Reise in die Vergangenheit. Das Buch basiert auf Erinnerungen und Einträgen aus dem Tagebuch ihrer Schwester Eva, die 1991 starb. Geschildert werden ein gnadenloser Überlebenskampf, der Versuch eines Kindes, mit schrecklichen Erlebnissen umzugehen und die Gefühle einer 19-Jährigen, die unter der Last ihrer Verantwortung ächzt. 

All das steht in erschütterndem Gegensatz zu Bärbels sorgloser Kindheit der ersten Kriegsjahre in Hamburg. Urplötzlich sind der Tod, die Angst und die Einsamkeit in ihr Idyll eingedrungen. Die Familie flieht, der Vater muss an die Ostfront. Es beginnt eine beschwerliche Odyssee mit Stationen im damaligen Warthegau, Wiedersdorf im heutigen Sachsen-Anhalt und Trabarz im Thüringer Wald. Mit brutaler Härte wird der Krieg zur täglichen Wirklichkeit und verliert seine Abstraktheit. 

Zunächst bringen sich die Mädchen auf Geheiß der geliebten "Mutti" in einem Kinderlandverschickungsheim im Thüringer Land in Sicherheit, wo Eva ihren Arbeitsdienst ableistet. Doch die Sehnsucht quält, die Kämpfe rücken näher. Im April 1945 machen sich die Schwestern mit einem hölzernen Leiterwagen auf ihren Weg, der über einen Monat später in ihrer zerbombten Heimatstadt endet. 

Das Schicksal der Protagonistin gelangte durch die englische Fernsehshow "True Story" an die Öffentlichkeit. Darin gewann Probert-Wright, mittlerweile nach England ausgewandert, den zweiten Preis und somit Unterstützung beim Niederschreiben des Erlebten. Herausgekommen ist ein Buch, das den Schrecken des Krieges thematisiert, aber auch kindliche Naivität und Zuversicht. Es sind keine anklagenden Zeilen, vielmehr setzt Probert-Wright den selbstlosen Menschen dieser Tage ein Denkmal. Sie betont die Opferbereitschaft und die Großzügigkeit vieler Menschen trotz "wütender Trommelfeuer" und "heulender Granaten". 

In einer schnörkellosen aber stets anschaulichen Sprache wird ein Alltag voller Erschießungen, Vergewaltigungen und Luftangriffe geschildet. Und dennoch bleibt Raum für kleine Lichtblicke. Mal verschenken US-amerikanische Soldaten Bonbons, mal genießen die Zwei die Frühlingssonne zwischen weißer Schafgarbe. "An der Hand meiner Schwester" mahnt und macht Hoffnung zugleich. Der Leser durchlebt einen emotionalen Taumel im Zeitraffer von nur 33 Tagen.

Christian Schultz 
03.02.2007

 
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Das Buch:

Bärbel Probert-Wright: An der Hand meiner Schwester. Zwei Mädchen im kriegszerstörten Deutschland

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Augsburg: Weltbild 2006
344 S., € 7,95
ISBN: 3-898-97488-X

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