Autobiographie

Nur mit eigenem Willen kann man etwas erreichen

In seinem achtzigsten Lebensjahr präsentiert Fritz Pietrowiak sein 187 Seiten starkes Buch "Nur der Wille zählt". Es ist eine von vielen Lebensbeschreibungen, die in Deutschland gezwungenermaßen auch stark von den Themen Krieg und Diktatur geprägt sind. Tagebuchsequenzen zum letzten Kriegsjahr ergänzen den laufenden Text.

Was Pietrowiaks Erinnerungen zu einer Besonderheit macht, ist die Spur des Schreibenden. Sie folgt unerbittlich hart den Fakten und Situationen, die der Autor durchlebt hat und die er weniger interpretiert haben will als beschrieben. Insofern ist das Buch ein wertvoller Beitrag zur Dokumentation. Aber gerade weil es so verdammt ehrlich geschrieben ist, stößt es den Leser zum Nachdenken an. So ist von der Hitlerzeit, dem Zweiten Weltkrieg, der kurzen russischen Gefangenschaft, dann auch vom 17. Juni 1953 (dem Volksaufstand in der DDR) und von der Bespitzelung in der DDR die Rede. Aber Pietrowiak erscheint nicht als einer, der Politisches abwägt und lange hinterfragt. Er sieht sich mehr als Person, die nun einmal in diese Welt hineingestellt ist und sein Bestes hergibt.

Ein Deutscher also, der seine Pflichten erfüllt und aus einfachen Verhältnissen heraus seinen Weg findet. Und wie er ihn findet! Dass der Vater viel liest, obwohl er keine Ausbildung absolvieren konnte, steckt die Familie offenbar an. Sohn Fritz tritt bei der Deutschen Reichsbahn ein und holt sich den Titel eines Ingenieurs für Tiefbau. Bruder Walter studiert Medizin und wird Arzt.

"Als Resümee bleibt festzuhalten", unterstreicht Fritz Pietrowiak sein Hauptanliegen, das gleichzeitig seinen charakteristischen Lebenszug darstellt, "dass die Familie das Wissen und den Werdegang ihrer Kinder beeinflusst. Bei richtiger Anleitung und eigenem Willen schaffen es auch Arbeiterkinder, aus ihrem Umfeld herauszukommen." So wie er es als Sechzehnjähriger lernt, mit Handgranaten und Minen umzugehen, weil es in dieser schweren Bedrohungslage einfach nicht anders ging, so fand er sich zurecht mit seinem beruflichen Werdegang.

Als Leser bleibt man immer sehr nahe daran, wenn der Autor über die Kommode schreibt, die Flaksplitter abbekommen hat, oder über das Buch von Knigge, das ihn gutes Verhalten lehrte. Ein intelligenter Mensch ist Pietrowiak ohne Zweifel schon damals gewesen, als er von Tochtergeschossen spricht, bevor es solche überhaupt gab. Er nutzt jede Gelegenheit zur Weiterbildung und entwickelt auch einen entsprechenden Stolz darauf. Ein kluger Pragmatiker, der in vielen Bauprojekten sein Wissen und Können einzusetzen versteht.

Der Hunger sei das größte Problem der Nachkriegszeit gewesen, berichtet der Autor. Das machte erfinderisch und war eine Herausforderung. Man liest über den Sprung in die Selbständigkeit, die alles andere als leicht zu realisieren war. Der DDR, die diese Selbständigkeit mehr und mehr behinderte, kehrt Pietrowiak 1958 den Rücken. Im gleichen Jahr machte er noch den Ingenieur für Hochbau. 1984 hatte er endlich jene Urkunden in der Hand, die unmissverständlich zu verstehen geben, dass er sich Diplom-Ingenieur für Hoch- und Tiefbau nennen darf.

Das vorliegende Buch ist auch ein Motivator. Es bestärkt und animiert nicht nur, es erstaunt auch, Abschnitt für Abschnitt. Wie konnte man aus dieser Existenznot überhaupt hinaus? Wie konnte es gelingen, russischem Feindfeuer zu entgehen, das links und rechts große Krater aufriss? Wie konnte man auch der Resignation entgehen, die doch in solchen Umständen nur allzu leicht aufkommt?

Es ist ein bewegendes Buch, das man mit "Nur der Wille zählt" in den Händen hält. Für Historiker ist es eine Illustration der Geschichte und ein Beweis, dass eine nationale Tragödie nicht mit einer persönlichen enden muss. Ein zuversichtliches Buch also.

Ronald Roggen 
26.07.2010

 
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Das Buch:

Fritz Pietrowiak: Nur der Wille zählt

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Frankfurt am Main: Edition Fischer 2009
188 S., € 9,80
ISBN: 978-3-89950-445-3

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