Medien & Gesellschaft

Ein Memoiren-Projekt gegen das Vergessen

Es gibt viele Werke, die das Thema "Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust" behandeln. Aber keines von diesen besitzt eine ähnliche Intensität und Intensivität wie "»Mit meiner Vergangenheit lebe ich«", erschienen im Jüdischen Verlag. Herausgeber Ivan Lefkovits gelingt hier ein bedeutendes Zeitdokument, das in keinem Bücherregal fehlen sollte. 15 KZ-Überlebende erzählen von ihrem Leid und lassen den Leser direkt an diesem teilhaben. Und sie erinnern uns, dass man auch mehr als siebzig Jahre nach Kriegsende nicht die Augen verschließen sollte vor der Vergangenheit. Sie ist noch immer so präsent wie 1945, als die Alliierten tausenden Juden neue Hoffnung gaben. Als die Deutschen sich ihrer Schuld endlich stellen mussten und sich noch immer stellen müssen. Nicht, dass so etwas ein zweites Mal geschieht!

"Wie kann ich das alles beschreiben?", fragt Peter Lebovic zu Beginn seiner "Erinnerungen aus dem längsten Jahr meines Lebens", das ihn 1944 nach Auschwitz, ins Warschauer Ghetto und nach Dachau führte. "Wie kann man Hunger, Demütigung, Schläge, Angst, Schmutz, all die Grausamkeiten, die ganze Atmosphäre schildern?" Dass eben das geht, zeigen Nina Weilová, Ernst Brenner, Peter Lebovic, Jake Fersztand, Sigmund Baumöhl, Gábor Hirsch, Gábor Nyirö, Ivan Lefkovits, Arnist Schlesinger, Hana und Hanus Arens, Andreas Sás, Klaus Appel, Fabian Gerson. André Sirtes, Christa Markovits und Éva Alpár auf überaus beeindruckende Art und Weise. Sie alle erinnern sich in diesem Projekt an ihre Zeit in deutschen Konzentrationslagern, an ihr Überleben, ihr Weiterleben in der Schweiz und anderswo, jeder und jede für sich, die eigene Geschichte und doch gemeinsam.

"»Mit meiner Vergangenheit lebe ich«" ist aber nicht nur der Bericht von 15 Holocaust-Überlebenden über die wohl schrecklichste Zeit ihres Lebens und über das Entsetzen, das bis heute mit dem Zweiten Weltkrieg und der Ermordung von Millionen Juden einhergeht. Nein, es ist zugleich ein Zeugnis von einem Kampf für die Menschlichkeit. Während man Satz für Satz, Seite für Seite den Autoren und deren Schicksal folgt, sieht man vor dem inneren Auge Bilder aus Filmen wie "Schindlers Liste" und "Das Leben ist schön" ablaufen. Währenddessen vergießt man ganze Sturzbäche von Tränen. Man kann sich nicht vorstellen, dass so etwas geschehen sein soll. Und doch ist dies genau das. Umso wichtiger sind Beiträge wie diese Memoiren. Sie sind ein Mahnmal für nachfolgende Generationen. Denn nur dann wird es keinen zweiten Holocaust geben.

Insbesondere in Zeiten wie diesen (Flüchtlingsdramen und Neonazi-Parolen à la "Wir sind das Volk" vor Bussen) ist man quasi verpflichtet "»Mit meiner Vergangenheit lebe ich«" zu kaufen und zu lesen. Ivan Lefkovits und seine Mitautoren leisten mit ihren Bänden einen wichtigen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung. Und sie machen uns deutlich, dass dieses Kapitel deutscher Geschichte noch längst nicht abgeschlossen ist. Auch wenn der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 zugunsten der Alliierten entschieden wurde, ist das, was damals geschah, noch immer nicht vergessen. Und das darf es niemals!

Susann Fleischer
14.03.2016

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Ivan Lefkovits (Hg.): Mit meiner Vergangenheit lebe ich - Memoiren von Holocaust-Überlebenden. Mit 15 Bildern von Gerhard Richter

CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Jüdischer Verlag 2016
995 S., € 79,00
ISBN: 978-3-633-54277-2

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.