Medien & Gesellschaft

Ein kurzes Kapitel Hoffnung

Als vor nunmehr ziemlich genau 83 Jahren die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, spitzte sich die Lage der jüdischen Bevölkerung immer mehr zu. Peu à peu wurden ihnen Rechte genommen, Restriktionen auferlegt, bis schließlich pure Willkür die Oberhand erlangte. Sämtliche Ebenen des täglichen Lebens und des gesellschaftlichen Miteinanders waren von diesen menschenverachtenden Maßnahmen betroffen, so auch die Ausübung sportlicher Betätigungen. Waren bis 1933 jüdische Fußballvereine in Deutschland eher die Ausnahme, sprossen sie anschließend innerhalb weniger Monate zwangsläufig aus dem Boden, da alle jüdischen Fußballspieler aus ihren bisherigen Vereinen ausgeschlossen worden waren. Es begann eine wenn auch nur sehr kurze, aber dennoch äußerst bemerkenswerte Epoche jüdischer Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland.

Die beiden Historiker Lorenz Peiffer und Henry Wahlig haben sich auf eine spannende Spurensuche begeben, indem sie versuchten, die Geschichte der in den Jahren 1933 bis 1938 im Deutschen Reich aktiven jüdischen Fußballvereine aufzuarbeiten. Dass dies eine durchaus herausfordernde Tätigkeit werden sollte und sehr viel Recherchearbeit in abgelegenen Archiven bedeuten würde, ließ sich bereits im Vorfeld erahnen, wenn man bedenkt, wie sehr in den meisten der vergangenen acht Jahrzehnte darauf hingewirkt wurde, mit einer "damnatio memoriae" die Erinnerung an jüdische Sportler auszulöschen. So bedurfte es beispielsweise einer beeindruckenden Initiative der Ultra-Gruppierung "Schickeria", das Gedenken an Kurt Landauer, den langjährigen jüdischen Präsidenten des FC Bayern und quasi legitimen Urvater eines Uli Hoeneß, aus der Vergessenheit zurück ins Bewusstsein des Vereins und seiner Anhänger zu bringen.

Um bis auf die Ebene der einzelnen Vereine und seiner Protagonisten zu gelangen, mussten die beiden Autoren sich durch mehrere tausend Seiten umfassende Zeitungsartikel wühlen; für die Recherche in Archiven waren sie sogar mehrheitlich in ausländischen Beständen tätig, da dort die Dokumente von erfolgreich geflüchteten Juden Eingang gefunden hatten. Herausgekommen ist bei dieser Herkulesaufgabe ein wahrlich beeindruckendes Werk, das zweifellos die betrachtete Periode unter dem gewählten Blickwinkel absolut umfassend und lückenlos abdeckt. Ihren Wälzer leiten die beiden Autoren mit einem gut  zwanzigseitigen Überblick ein, in dem sie auf die verschiedenen Organisationsformen des jüdischen Fußballs eingehen sowie den raschen Untergang nach den Olympischen Spielen 1936, in deren Vorfeld die jüdischen Sportler noch einige vom NS-Regime kalkulierte Freiheiten genossen. Anschließend widmen sich die Autoren im Herzstück ihres Werkes auf mehr als 500 Seiten den einzelnen Fußballvereinen.

Die heute existierenden Bundesländer geben dieser detaillierten Betrachtung die Gliederung vor, und so arbeiten sich Peiffer und Wahlig Bundesland für Bundesland vor, um auch zum allerkleinsten Verein die recherchierten Fakten der Nachwelt zu erhalten. Zu den größeren deutschen Städten, in denen naturgemäß meist mehrere Vereine aktiv waren, geben die Autoren einleitend jeweils eine Betrachtung zur allgemeinen Lage des jüdischen Lebens in dieser Stadt zum Besten. Während es bei einigen Vereinen beträchtliche Informationslücken gibt, die mutmaßlich auch nicht mehr geschlossen werden können, ist die Dokumentationslage bei den großen und erfolgreichen Vereinen sehr beachtlich. Erstaunlich ist insbesondere die Tatsache, wie rasch sich die Vereine nach dem verhängnisvollen 30. Januar 1933 organisieren konnten und in verschiedenen Ligen um Punkte und Meisterschaften kämpften.

Doch was in dem vorliegenden Buch vor allem deutlich wird, ist die soziale Bedeutung, die diesem kurzzeitigen Phänomen innewohnte. Durch die wöchentlichen Ausflüge auf den Fußballplatz vergaßen sowohl Sportler als auch Anhänger für kurze Zeit die immer weiter wachsenden Repressalien im täglichen Leben. Peiffer und Wahlig liefern darüber hinaus interessante Einblicke in die Zerrissenheit der in Deutschland lebenden Juden zwischen Flucht und Heimattreue. Dies wurde durch die beiden führenden Verbände repräsentiert, den Deutschen Makkabikreis und den Sportbund Schild, die einen zionistisch ausgerichtet, die anderen assimilationsorientiert. Die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte im deutschen Fußball, die schon seit geraumer Zeit durch einige herausragende Werke des Göttinger Werkstatt Verlags vorangetrieben wurde, erreicht mit diesem brillant recherchierten Kompendium einen neuen Meilenstein.

Christoph Mahnel
01.02.2016

 
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Das Buch:

Lorenz Peiffer und Henry Wahlig: Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland

Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2015
576 S., 44,90 Euro
ISBN 978-3-730-70221-5

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