Medien & Gesellschaft

Erstklassiges aus den unteren Ligen

Wer nach den Sternstunden des Sports in der mittelhessischen Universitätsmetropole Gießen gefragt wird, der denkt sicherlich zuallererst an die Erfolge in den einst stark studentisch geprägten Sportarten Volleyball und Basketball. Als sich Anfang der Achtziger Jahre die Netzartisten um den deutschen Superstar Burkhard Sude reihenweise die nationalen Titel erschmetterten, waren die goldenen Zeiten der Korbjäger des lokalen Männerturnvereins schon Geschichte. In den Sechziger und Siebziger Jahren gehörten die Gießener Basketballer zur Beletage in Deutschland und konnten insgesamt fünf Meistertitel und drei Pokalsiege einheimsen.

Der Fußball in Gießen hingegen hat es zumindest nicht nachhaltig ins überregionale Bewusstsein geschafft. Die größten Erfolge stammen schließlich aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als man mehrere Male bis in die Endrunden um die Westdeutsche Meisterschaft vorstoßen konnte. In den Nachkriegsjahren überzeugte man dann eher mit Konstanz und Ligazugehörigkeit, satte 31 Jahre war der VfB 1900 Gießen bis ins Jahr 1982 hinein ununterbrochen in der Fußball-Oberliga Hessen am Start. In den Neunziger Jahren reüssierte man nochmals in der höchsten hessischen Spielklasse und strebte sogar nach Höherem, doch zeigte nach der verpassten Qualifikation für die Regionalliga der Weg fortan konsequent nach unten. Heute backt man schließlich in der Verbandsliga Mitte nur noch ganz kleine Brötchen.

Wer anhand dieses kurzen Abrisses über die Gießener Fußballgeschichte glaubt, das Urteil "nicht berichtenswert" fällen zu können, liegt allerdings ziemlich weit daneben. Christian von Berg, ein Ur-Gießener, hat sich von seinem Faible für die Stadtgeschichte und den lokalen Fußball leiten lassen und die Geschichte des Gießener Fußballs zu Papier gebracht. Herausgekommen ist eine Blaupause dafür, wie lokale Sportgeschichte dank akribischer Recherche und einem angenehmen Plauderton höchst unterhaltsam in Szene gesetzt werden kann. Überraschend und allerhöchste Auszeichnung zugleich ist für die vorliegende Publikation der Tatbestand, dass mit dem Göttinger Werkstatt-Verlag der renommierteste deutsche Sportbuchverlag hinter diesem Buch steht.

Von Berg beginnt seine Reise durch die Zeit mit der Vereinsgründung im Jahre 1900 und verzweigt dabei seine Erzählung in die beiden Äste der SpVgg 1900 Gießen und des VfB 08 Gießen, die erst 1956 zum VfB 1900 Gießen fusionierten. Im zentralen Kapitel widmet er sich dann schließlich dem ewigen Hessenligisten, der ab 1951 faktisch zum Inventar der Oberliga Hessen gehörte und sich viele grandiose Schlachten mit sämtlichen hessischen Fußballgrößen lieferte. Doch mit den Achtziger Jahren wurde das Ende der Herrlichkeit im Gießener Waldstadion eingeläutet. Auf dem grünen Geläuf am Kugelberg wurden alsbald die großen Erfolge nur noch auf Seiten der Gäste gefeiert, wie etwa 1981, als die Griesheimer Viktoria am letzten Spieltag die Hessenmeisterschaft in Gießen klarmachen konnte.

Mit dem Weltmeister Uwe Bein kehrte 1997 schließlich noch einmal der ganz große Fußball in die Universitätsstadt an der Lahn zurück. Zwar hatte der Mann mit dem tödlichen Pass schon lange seinen Zenit überschritten, doch für die Qualifikation zur Regionalliga möge es doch noch langen, eventuell könnte man es sogar bis in die Zweite Liga schaffen. Dass die Geschichte des Gießener Fußballs an dieser Wegscheide kein Happy End nahm, war für Christian von Berg kein Hindernis, mit "Damals auf dem Waldsportplatz" eine begeisternde und bewegende Geschichte zu erzählen, in der man selbst ohne Affinität zum Gießener Fußball plötzlich zum Anhänger des VfB Gießen mutiert und garantiert fortan im Kicker den Ergebnisteil für die unterklassigen Ligen durchforsten wird, um über die aktuellen Leistungen der Gießener Fußballer informiert zu sein.

Christian von Berg ist in seinem Buch stets bestrebt gewesen, die Entwicklungen im Gießener Fußballsport mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen in Relation zu setzen. Zu Beginn einer jeden Saison wird der Leser daran erinnert, was sich zu genau dieser Zeit auf nationaler Ebene in der Bundesrepublik und auf lokaler Ebene im Gießener Raum abspielte. Neben den Berührungen mit den ganz großen Helden des deutschen Fußballs wie etwa einem Helmut Rahn, der wenige Wochen nach seinem goldenen Schuss im WM-Finale 1954 mit Rot-Weiß Essen ein Gastspiel im Mittelhessischen gab, schafft es von Berg, den Leser auch für lokale Helden wie etwa einen Ottmar Wagner zu begeistern, der als Stürmer so manchen gegnerischen Verteidiger narrte. Schlussendlich wird auch der Statistikfreund hervorragend bedient; mit umfangreichem Tabellenmaterial und einem vollständigen Überblick über sämtliche Hessenliga-Kicker der erfolgreichsten Gießener Fußballepoche findet das vorliegende Werk einen runden und gebührenden Abschluss.

Christoph Mahnel
20.10.2014

 
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Das Buch:

Christian von Berg: Damals auf dem Waldsportplatz

Göttingen: Die Werkstatt 2014
336 S., € 24,90
ISBN 978-3-730-70140-9

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