Medien & Gesellschaft

An Peps Seite

Die Ankunft Pep Guardiolas als neuer hauptverantwortlicher Fußballlehrer beim FC Bayern München im Juni 2013 ging mit einem selbst für den gerne als FC Hollywood bezeichneten Klub derart außerordentlichen medialen Interesse einher, dass man sich fragen musste, ob hier der Heilsbringer für einen darbenden Verein gelandet sei. Dies war jedoch keineswegs der Fall, denn schließlich hatte der FC Bayern gerade mit dem Triple sein erfolgreichstes Jahr der Vereinsgeschichte hinter sich gebracht. Der Baumeister des Erfolgs, Trainer Jupp Heynckes, war in den wohlverdienten Ruhestand getreten, und die Nachfolge stand mit Pep Guardiola bereits seit fünf Monaten fest. Doch genau daraus leitete sich die Brisanz dieser Mission ab: Wie konnte der anerkanntermaßen weltbeste Trainer den aktuell besten Verein des Erdballs noch auf ein höheres Level hieven?

Diese "Mission Impossible" wurde durch Funk und Fernsehen von allen Seiten, idealerweise durch Live-Übertragungen sämtlicher Pressekonferenzen und jeder öffentlichen Trainingseinheit, durchleuchtet. Doch glaubt man, alles über das Jahr Eins des Herrn Guardiola beim FC Bayern zu wissen, dann muss man eingedenk des vorliegenden Buchs dieser Einschätzung klar widersprechen. Dem ehemaligen katalanischen Olympiateilnehmer im Hochsprung und Sportjournalisten Martí Perarnau ist nämlich ein einmaliger Coup gelungen. Ihm wurde die Anfrage, Pep Guardiola für ein Buchprojekt ein Jahr lang bei der Ausübung seines Berufs beim FC Bayern begleiten zu dürfen, positiv beschieden. Die gesamte Saison 2013/14 befand er sich im innersten Zirkel des polarisierendsten deutschen Fußballklubs und erhielt Einblicke in Überlegungen, Prozesse und Abläufe, wie sie noch kein Außenstehender zuvor erlangen durfte.

Herausgekommen aus dieser Zeit an Peps Seite ist das vorliegende Buch "Herr Guardiola". Das zeitgleich erschienene spanische Original trägt interessanterweise den Titel "Herr Pep". Perarnau hat sich für eine streng chronologische Erzählweise der Ereignisse entschlossen, was sich aufgrund des erfolgten Saisonverlaufs vom dramaturgischen Aspekt her durchaus aufdrängte. Ähnlich wie in Sönke Wortmanns "Sommermärchen", dem Film zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006, schwebte die Mannschaft lange Zeit auf einer ungeahnten Euphorie- und Sympathiewelle, bevor im allesentscheidenden Halbfinale die große Katastrophe über die Mannschaft hereinbrach. Doch in beiden Fällen gelang mit einem versöhnlichen letzten Spiel ein wunderbarer und erinnerungswürdiger Abschluss. Im Falle des FC Bayern anno 2014 war besagte Katastrophe natürlich die 0:4-Klatsche im Champions-League-Halbfinalrückspiel gegen Real Madrid, die schlussendlich durch die taktische Meisterleistung Peps im DFB-Pokalfinale gegen den hiesigen Erzfeind, die schwarz-gelben Borussen aus Dortmund, mit dem nationalen Doublegewinn übertüncht werden konnte.

Die dieser Tage erschienene deutsche Ausgabe der Innenansichten des FC Bayern ist vom Münchener Kunstmann Verlag herausgegeben worden, einem Verlag, der in der Vergangenheit auf dem Segment der Fußballbücher mit Philipp Lahms "Der feine Unterschied" bislang einen eher unglücklichen Gehversuch unternommen hatte. Doch Perarnaus Buch wird diesen Eindruck völlig zu Recht revidieren und den Verlag ob der zu erwartenden Resonanz sicherlich jubeln lassen. Dennoch sollte man als Leser keinesfalls erwarten, dass Perarnau den "Whistleblower von der Säbener Straße" macht und Intimitäten aus der Bayern-Kabine zum Besten gibt, Gerüchte kommentiert oder Geheimnissen Nahrung gibt. An der einen oder anderen Stelle hält er sich wie ein Gentleman bedeckt und belässt es beispielsweise im Zuge potentieller Transfers bei Andeutungen, ohne konkrete Namen oder Vereine zu nennen.

Perarnau gelingt es in seinem Buch ganz vorzüglich, sich in die Gedankenwelt Pep Guardiolas hinzuarbeiten. Er lässt den Leser an den taktischen Überlegungen des Coachs teilhaben, welches System gegen welchen Gegner das vielversprechendste sein dürfte oder wie er die in der abgelaufenen Saison wahrlich extreme Verletzungsmisere des FC Bayern am besten kompensieren kann. Man lernt dabei auch die persönlichen Gepflogenheiten des Menschen Pep Guardiola kennen, der so sehr in seine Arbeit versessen ist, dass er an Spieltagen nach der morgendlichen Tasse Kaffee nur noch Wasser zu sich nehmen kann, bevor er sich nach Spielschluss große Teile des Büffets einverleibt. Es werden sämtliche Facetten der Persönlichkeit Pep Guardiolas beleuchtet, vom akribischen Arbeiter über den begeisternden Motivator bis hin zum strengen und konsequenten Umsetzer, der kompromisslos dafür sorgt, dass jedes kleinste Puzzleteil beim FC Bayern nach seiner Vorstellung beschaffen ist.

Im Zuge der gerade beginnenden Spielzeit der Weltmeisterliga ist "Herr Guardiola" der ideale Begleiter, der dem interessierten Leser verdeutlicht, welche Dimensionen das gerne mal als paradiesisch dargestellte Berufsleben von Profispielern und Fußballtrainern umfasst. Die Fans des FC Bayern werden dank dieses Buchs trotz des holprigen Starts ihrer Mannschaft schnell wieder Vertrauen fassen, da ihnen die Schilderungen Perarnaus bewusst machen, welch brillantes Fußballhirn als Mastermind ihres Vereins den Weg vorgibt. Doch da Glück und Pech eines von Latte oder Pfosten abprallenden Balls selbst von einem Pep Guardiola nicht zu beeinflussen sind, wird der Sport, den Milliarden von Menschen so sehr lieben, niemals vollständig zu kontrollieren sein und weiterhin die Massen verzücken.

Christoph Mahnel
15.09.2014

 
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Das Buch:

Martí Perarnau: Herr Guardiola. Das erste Jahr mit Bayern München

München: Kunstmann Verlag 2014
430 S., € 19,95
ISBN 978-3-888-97974-3

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