Medien & Gesellschaft

Frau und Photographie - eine ideale Paarung!

Seine surreal, durch Verpackung, Vernagelung usw. verfremdeten Kunstobjekte nehmen die Entwicklung der 1960er Jahre vorweg. Dadaismus und Surrealismus prägen auch seine Gemälde und Collagen sowie seine experimentellen Filme. Vor allem aber mit seinen ab 1921 entstandenen Photomontagen und Photogrammen erschloss er der modernen Kunst neue Ausdrucksmittel, mehr noch: ein neues Medium. Gemeint ist natürlich der neue Guru der Photographie - Man Ray.

Weniger gut bekannt sein dürfte hingegen das Schicksal von "Madame Man Ray", die identisch ist mit der heute international anerkannten Bildjournalistin Lee Miller.

Drei Jahre lang unterhielt sie eine intensive symbiotische (Liebes-)Beziehung zum amerikanischen, jedoch in Paris wirkenden Multikünstler: Sie lernte ihr photographisches Handwerk bei ihm, und er wiederum hatte mit ihr ein vorzügliches Modell an der Hand. Doch sie sollte nicht die erste und auch nicht die letzte Verehrerin Man Rays sein: unzählig die Kunden, insbesondere attraktive Frauen, die das Atelier des Meisters aufsuchten, um sich von ihm persönlich photographieren zu lassen, unzählig auch die Geliebten (nicht nur Mannequins!) und unzählig die jungen Leute, darunter Frauen wie Berenice Abbott, Marianne Breslauer, Dora Maar und Gisele Freund, die alles daran setzten, um als AssistentInnen in die großen und kleinen Geheimnisse seiner Photokunst eingeweiht zu werden. Madame Man Ray - das waren sie im Grunde alle, auf die eine oder andere Weise, für eine gewisse Zeit, jenseits von bürgerlichen Moralvorstellungen!

Nun bleibt die Neuerscheinung von Unda Hörner nicht an diesem Punkt stehen. Es geht ihr weder um eine neuerliche Würdigung des Lebenswerks Man Rays. Noch beabsichtigt sie, die Reihe der Beiträge zur Avantgarde um einen weiteren zu ergänzen, denn auch diese ist seit den ausgehenden siebziger Jahren wiederentdeckt und in Fachkreisen ausführlich diskutiert worden.

Vielmehr wagt sich die promovierte Germanistin und Romanistin zu den nur schwer zugänglichen Randzonen der "großen" Kunstgeschichte. Weil sich die Photographie, so ihre zentrale These, als technisch progressives Medium und als Medium der Avantgarde auf einem terrain vague bewegte, war die öffentliche Rolle, die sie spielen könnte, ebenso undefiniert und wenig ausgeschöpft wie die Rolle der Frauen in der Öffentlichkeit.

Frau und Photographie müsse insofern als eine ideale Paarung begriffen werden, die im Paris der künstlerischen Neuerungen einen äußerst fruchtbaren Nährboden fand. Frauen aus dem gehobenen, speziell dem jüdischen Bürgertum tauchten nicht nur ein, sondern gestalteten auch und vor allem aktiv jene Atmosphäre mit, die seit Beginn des 20. Jh.s für Paris als Hauptstadt der Avantgarde kennzeichnend war und die zahlreiche Künstler und Lebenskünstler, Musiker, Schriftsteller und Intellektuelle unwiderstehlich anzog.

Vielleicht hätte noch ein wenig deutlicher daran erinnert werden müssen, dass im Rahmen einer restaurativen Kunsttheorie Frauen grundsätzlich aus der Sphäre der Kunst ausgeschlossen waren und dass dieser Ausschluss traditionell mit der weiblichen "Natur" legitimiert wurde. Was jahrhundertelang problematisch war - die Entfaltung weiblicher Kreativität im allgemeinen Schaffensprozess -, die neu auf den Markt gebrachte handliche Kleinbildkamera scherte sich nicht darum, ignorierte einfach die üblichen Praxen der geschlechtspolaren Zuschreibung! Sie wurde zum Symbol einer neu gewonnenen Freiheit - beruflich, künstlerisch, privat.

Zahlreiche Aufnahmen der Wahlpariserinnen, so unterschiedlich sie in ihren Intentionen und Ausdrucksformen sein mögen - sie dokumentieren gleichermaßen das Leben der künstlerischen Avantgarde in Paris wie auch die französische Metropole selbst, die immer wieder im Mittelpunkt ihrer Arbeiten stand. Mehr noch, die couragierten und passionierten Kamerafrauen nutzten ihre Freiräume und zeigten eindrucksvoll, dass sie im Umgang mit einem derart wenig reglementierten Medium wie der Photographie sehr wohl in der Lage waren, in ihrer Zeit Akzente zu setzen: Berenice Abbott und insbesondere Gisele Freund in der Kunst der Porträtphotographie, Florence Henri mit ihren Abstraktionen in Schwarz-Weiß, Germaine Krull in der Modephotographie, Lee Miller und nochmals Germaine Krull als Bildjournalistinnen sowie Claude Cahun mit ihren Selbstporträts, die eine gründliche Infragestellung der - aus ihrer Sicht rein sozial bedingten - Geschlechteridentität implizieren …

Ein ums andere Mal wird aber auch die Kehrseite dieses in jeder Hinsicht unkonventionellen Lebenswandels offensichtlich: Die Entscheidung einer Frau zugunsten der Photographie kam einem bewusst gewählten Alleingang jenseits des Klischeebildes der "neuen Frau" gleich, einem Leben selbstverständlich auch jenseits der bürgerlichen Moralvorstellungen, welche eine totale Einengung des Weiblichen auf den Binnenbereich des Häuslichen und Privaten implizierten.

Schlimm nur, dass selbst aus surrealistischen Kreisen mit keiner Rückendeckung zu rechnen war. Definierte man doch selbst dort traditionell (frauenfeindlich) die Kunst als eine rein männliche Domäne, innerhalb derer den Frauen bestenfalls ergänzende Funktionen zugestanden wurde.

Auf die Frage, was denn nun das eigentlich Besondere der frühen Frauenphotographie ist, gibt Unda Hörner in ihrem neuesten Buch glücklicherweise keine direkte Antwort. Ziel ist weder eine systematische Suche nach weiblichen Erfahrungen entsprechenden Ausdrucksformen, nach Anti-Formen im weiten Experimentierfeld der Photographie noch eine Betrachtung, die vom aktuellen Stand feministischer Hypothesenbildung ausgeht und erst recht keine Ausgrenzung weiblicher Photographie als künstlerische "Sonderform". Vielmehr zeigt sich die Geisteswissenschaftlerin bestrebt, die Vertreterinnen des sogenannten "Neuen Sehens" innerhalb ihres kulturellen Umfeldes ausfindig zu machen und ihnen vorurteilslos zu begegnen. In diesem Sinne ist "Madame Man Ray" ein brillant geschriebenes Buch, das, wissenschaftlich fundiert und doch frei von unnötigem theoretischen Ballast, dazu einlädt, die Photographie als das Medium der Avantgarde schlechthin kennen zu lernen - aus einer ver-rückten Perspektive eben.

Dr. Gudrun Daul
15.07.2002

 
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Das Buch:

Unda Hörner: Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris

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Berlin: Edition Ebersbach 2002
207 S.
ISBN: 3-9347-0336-4

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