Biographie

Eine Krone voller Dornen

Ein in vieler Hinsicht erstaunlich-bemerkenswertes Buch über den Bayernkönig - auch für den, der halbwegs vertraut ist mit dem, was über ihn bekannt ist, und den wohl für immer ungeklärt bleibenden Umständen seines Todes.

Die Autorin Barbara von Braun-Lacoste (Jahrgang 1929) hatte in einem früheren Lebensabschnitt Zugang zu ansonsten bis heute nicht zugänglichen Originaldokumenten, auf deren Grundlage der Roman entstanden ist. Es sind dies im Wesentlichen die Aufzeichnungen des Stallmeisters Richard Hornig, somit der Figur, die Ludwig während seiner gesamten Regierungszeit am nächsten stand, der de facto zu dessen Privatsekretär aufrückte und zugleich sein engster Vertrauter und Intimfreund wurde.

Insgesamt präsentiert sich das Werk als Kompilation von Tagebuchnotizen und längeren Abschnitten einer Chronik, die Hornig hinterlassen hat, sein Verhältnis zu Ludwig betreffend. Folglich fungiert Hornig durchgehend als Erzähler der Geschichte, die dem Leser den Menschen, d.h. wesentliche Aspekte der öffentlichen und privaten Person König Ludwigs vor Augen führt, mit der Blickrichtung auf dessen mythenumwobenes tragisches Ende.

Es bleibt das Geheimnis der Autorin, wie weit ihre Erzählung direkt auf die Quelle, auf Hornig zurückgreift, und ab welchem Punkt sie beginnt, uns die Geschichte Ludwigs eigenständig, aufgrund ihrer umfassenden Kenntnisse und Studien zu vermitteln.

Man gewinnt den Eindruck, dass sie sich Hornigs Bild von Ludwig ganz zu eigen gemacht und sodann ihre erstaunlichen erzählerischen Fähigkeiten eingesetzt hat, um dieses Bild zu vertiefen, zu erweitern, uns glaubwürdig nahezubringen. Was den Verlauf der Ereignisse und den historischen Hintergrund angeht, hat man kaum je den Eindruck, hier sei etwas erfunden; alles fügt sich in das anfänglich gezeichnete Bild Ludwigs folgerichtig ein. Die Fakten wie auch die Beziehungen zu zahlreichen Zeitzeugen (sei es aus der königlichen Familie, der Politik oder dem Kulturleben - ausgiebig z.B. Richard und Cosima Wagner betreffend) lassen sich ohnehin leicht nachprüfen.

Das Erzählverlauf folgt einer bewusst gewählten Dramaturgie: Den Anfang machen Hornigs Tagebucheinträge vom Februar/März 1886, also nur wenige Monate vor dem Tod Ludwigs. Dieser hat ihn vor kurzem vom Dienst suspendiert, fortgeschickt; dennoch besteht die gefühlsbestimmte Bindung beiderseits weiter. Die Krise, eine regelrechte Hetzjagd gegen Ludwig ist in vollem Gange; seine Gegner wollen Hornig im Verfahren um des Königs Entmachtung bzw. Entmündigung zu einer Aussage gegen ihn bewegen. Man hat Ludwigs geheime Tagebücher entwendet, die ihn kompromittierende Äußerungen enthalten sollen, und da diese großenteils auch Hornig betreffen, meinen die Gegner, ihn unter Druck setzen zu können, um die gewünschten Aussagen zu erhalten. Hornig will keinesfalls gegen Ludwig aussagen, will sich dann aber vernehmen lassen unter der Bedingung, dass der König seine Tagebücher zurückerhält. Eine Vorladung erreicht Hornig, er zieht sein altes Tagebuch als Gedächtnisstütze hervor.

Mit dieser ab April 1867 geführten Chronik beginnt der Hauptteil des Romans: auf knapp dreihundert Seiten wird in unglaublicher Dichte ein einziges Jahr aus dem Leben des Königs festgehalten, das Anlässe in Fülle bietet, um dem Leser ein nachhaltiges Bild der Person und der besonderen Problematik Ludwigs zu vermitteln.

Am Anfang Hornigs eher beiläufiger Besuch bei Ludwig (er soll ihm ein Pferd überbringen); das sofortige Vertrauen und die Sympathie Ludwigs halten ihn am Hof fest, wo er bald darauf Stallmeister wird. Am Ende der Jahreschronik besiegeln beide ihre unverbrüchliche Freundschaft.  Der wenig über zwanzigjährige Ludwig ist seit kurzem mit Prinzessin Sophie verlobt (Schwester 'Sissi's, der Kaiserin Elisabeth von Österreich), weniger aus eigenem Antrieb als auf Betreiben der Mutter, die auch auf baldige Eheschließung drängt. Einem weiteren Heiratsultimatum von Sophies Familie ausweichend, löst Ludwig das Verlöbnis bereits im Oktober des Jahres auf. - Diese wie andere biographische Einzelheiten sind weitgehend bekannt, nicht zuletzt durch die Filme H. Käutners, L. Viscontis oder H. J. Syberbergs über den Bayernkönig.

Fußend auf Hornigs Chronik legt die Autorin das Hauptgewicht auf die vermutlich weniger bekannte Freundschafts- und Liebesbeziehung Ludwigs zu seinem Stallmeister. Der in weitgehender Isolierung, auch ohne Kameraden aufgewachsene Ludwig fühlt sich bald ganz zu Hornig hingezogen, sucht sich ihm mitzuteilen - so auch, was die fehlende Neigung zur Verlobten Sophie anbelangt. Aufgrund seiner streng katholischen Erziehung hat er außerordentliche Skrupel, sich das einzugestehen, was an seiner Neigung zu Hornig über das anerkannt zulässige Maß an Freundschaft hinausgeht. Er glaubt - und fragt Hornig dazu, ob eine ausgelebte körperliche Beziehung zwischen zwei Männern tatsächlich 'Todsünde' sei. Hornig, der seinerseits von Ludwig fasziniert ist (wenngleich, wie sein bisheriges Leben, zudem seine spätere im Einverständnis mit Ludwig geschlossene Ehe belegt, nicht primär gleichgeschlechtlich orientiert) wirkt verständnisvoll-beruhigend auf Ludwig ein und macht ihm im Verlauf der weiteren Gespräche klar, dass es allein die Qualität und Intensität der Liebe ist, an der ihr Wert zu messen ist.

Weitgehende Syntonie zeigt sich auch in der gemeinsamen Lektüre, im gegenseitigen Austausch literarisch-kultureller Interessen; neben Lessings Nathan erscheint emblematisch v. a. August von Platens Gedicht Wer die Schönheit angeschaut mit Augen. Gemeinsame Ausritte und Besuche der verschiedenen Residenzen führen beide immer näher zusammen. Sie müssen dabei (keineswegs immer erfolgreich) auf äußerste Diskretion achten - einmal lässt die königliche Mutter ihnen sogar den Hofmarschall nachspionieren. Während insbesondere Ludwig zunehmend Gelegenheiten vertrauter Zweisamkeit sucht, weicht er doch immer wieder der sich bietenden Nähe und körperlichen Berührung aus, fühlt sich zutiefst schuldig, auch Hornig gegenüber. So ist es am Ende der Freigeist Hornig, der Ludwig die Skrupel ausredet und ihm erstmals zu einem voll erfüllten Liebeskontakt verhilft.

Den von Ludwig angestrebten Lebensbund beider betreffend spielt als Hintergrund der im Leben des Königs ohnehin zur Genüge präsente Richard Wagner mit seinen zentralen Themen hinein (nur hat ihn Ludwig zur Zeit gerade, im Zusammenhang mit dessen Affäre um Cosima von Bülow, aus seinem Umfeld verbannt): Es ist im Anschluss an eine Tristan-Aufführung, dass Ludwig mit seinem Intimus  Richard (!) Hornig einen Treuebund fürs Leben beschließt, bestätigt durch ein geheimes Schreiben, dessen Wortlaut 'nie über seine Lippen kommen' dürfte, das Hornig aber nicht vernichten kann. Bildet hier Isoldes Liebestod den gedanklichen Hintergrund (zeitgleich mit der Auflösung der offiziellen Verlobung mit Prinzessin Sophie), fühlt sich Ludwig einige Zeit später, anlässlich der Übernachtung mit Hornig in einer Berghütte, von dieser Umgebung inspiriert für das Bühnenbild von Hundings Hütte in der gerade geplanten Aufführung des Ringes des Nibelungen. Auch dies eine deutliche Anspielung auf das Motiv der verbotenen Liebesbeziehung. Und tatsächlich kommt es hier, wo die beiden auf einer längeren Gebirgswanderung festgehalten und schon vermisst werden, nach längerem Sträuben, ja Todeswünschen Ludwigs zum ersten engen Zusammensein der beiden: 'Er hat in den Armen seines Pferdeburschen gefunden, was ihm keine Königin geben konnte'.

Beider Beziehung ist dennoch weiterhin von Ludwigs Skrupeln bestimmt; er versucht, Hornig das Versprechen abzuringen, ihn  notfalls umzubringen, sofern er sein Leben nicht mehr in Würde führen könnte. - Mit den Karnevalsfeiern ist Hornigs Jahreschronik fast am Ende: sie schließt mit dem gegenseitigen Austausch der Ringe, zur Bekräftigung ihres Lebensbundes 'bis in  den Tod'. Abgesehen vom symbolträchtig-mythenumrankten Charakter der kurzen Szene kommt dem Leser hier ein sehr aktuell-zeitgemäßer Gedanke: Er zielt auf die heftig diskutierte Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit der traditionellen Ehe.

Davon sind die beiden Protagonisten in ihrer Zeit wohl um Lichtjahre entfernt. Die unumgängliche Geheimhaltung ihrer Beziehung bereitet einerseits vor allem Ludwig (schon aufgrund seiner Stellung) außerordentliche Probleme, andererseits scheint gerade dieser die Heimlichkeit ein wenig zu genießen, als einen nur ihm allein gehörigen Bereich. Der in seinen Überzeugungen weit freiere Hornig leidet seinerseits stark unter der unvermeidlichen Heuchelei, fühlt sich zudem unbegabt für die erforderliche Komödie, die er schlecht zu spielen glaubt.

Erst knapp 20 Jahre später führt Hornig seine Chronik weiter (Zwischenzeitliches hat er offenbar vernichtet). Wie am Beginn des Buches ersichtlich sind wir bereits in den Monaten unmittelbar vor dem Tod Ludwigs. Von hier ab bringt das letzte Drittel des Buches zunächst jedoch den Rückblick auf Ludwig als Mensch und als König, somit auch auf die geschichtlichen Entwicklungen während seiner Regierungszeit. Zu erwähnen sind insbesondere der deutsch-französische Krieg von 1870/71, die Reichsgründung durch Bismarck und die Stellung Ludwigs dazu, der Bayern das größtmögliche Maß an Unabhängigkeit sichern will. Nach seinen Erfahrungen des Krieges von 1866, den er in der Koalition mit Österreich verlor, erscheint Ludwig als entschiedener Pazifist (zudem Freund Frankreichs), will sich im Grunde an keinem Krieg mehr beteiligen.

Überhaupt wird sein ausgeprägter Hang deutlich, nicht gegen seine Überzeugungen zu handeln. Was im privaten Bereich folglich zur Selbstkasteiung führt, äußert sich im öffentlichen Wirken im heftigen Sich-Gegenstemmen gegen bestimmte politische Interessen, auch innerhalb seiner Regierung. Es liegt nahe, dass er damit womöglich der späteren Verschwörung gegen ihn Vorschub leistete, an der auch hohe Regierungsbeamte beteiligt waren. Zum Bild Ludwigs gehört auch, dass er nicht machtversessen gewesen sei; gern hätte er einmal seinem Bruder Otto die Regierungsgeschäfte überlassen wollen. Der war nur seinerseits von einer progressiven Geistesverwirrung befallen, die man dagegen Ludwig bis zu seinem Ende nicht überzeugend nachweisen konnte.

Ein besonders sympathisches Beispiel für die Hartnäckigkeit Ludwigs beim Durchsetzen seiner Vorsätze: Richard Wagner wollte die Uraufführung seines 'Parsifal' in Bayreuth nicht dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi anvertrauen. Erst als Ludwig, der auf Levi bestand, ankündigte, ihm anderenfalls sein Münchner Orchester vorzuenthalten, lenkte Wagner ein.

Innerlich vereinsamt, zieht der König sich mehr und mehr zurück, betreibt seine Schlossbauten, als wolle er seine unverstandenen Träume dem Urteil der Nachwelt überliefern. Die immensen Kosten, der Ruin der Staatsfinanzen rufen bekanntlich seine Gegner auf den Plan: es wird öffentlich an seinem Verstand gezweifelt, eine psychiatrische Untersuchung vorbereitet; zahlreiche seiner Anhänger wechseln zur Gegenseite über. Hornig kann sich seiner Vernehmung nicht entziehen und sorgt sich um die Verwertung seiner Aussagen zum Befinden Ludwigs. Auch hält er die Berufung von Guddens, kurz darauf Ludwigs Irrenarzt, in die Kommission für einen Missgriff: Er sieht bereits, dass man Ludwig nicht zu heilen, sondern zu entmündigen beabsichtigt, will Ludwig eine Warnung zukommen lassen.

Zu diesem Zeitpunkt weiß er bereits, dass Ludwigs Gegner ein weiteres schweres Geschütz in der Hand haben: Ein Brief der spanischen Königin Isabella, in dem es um Anleihepläne Ludwigs zur Finanzierung seiner Bauten geht, ist in die Hände des Prinzen Luitpold (Ludwigs Oheim und Thronnachfolger) gelangt. Bleibt auch dessen Echtheit unbelegt, hatte die Absenderin demnach die Idee, das Haus Orleans um die Vorstreckung der Mittel anzugehen. Das außerordentlich begüterte Haus, dem Geschäft nicht abgeneigt, hätte jedoch eine Bedingung gestellt: Im Fall eines erneuten deutsch-französischen Krieges müsse Bayern neutral bleiben. Hornigs Informant, der Staatsbeamte Ziegler, gibt sich überzeugt, dass dies bereits ausreiche, um Ludwig des Verfassungsbruches, folglich Hochverrates zu bezichtigen, so dass dessen Entmündigung eher noch das kleinere Übel sei.

Dem hat Hornig vorerst wenig entgegenzusetzen, will der Sache aber genauer auf den Grund kommen. Während eines kurzen Kuraufenthaltes in Bad Gastein wird er von einer Angehörigen der Gegenverschwörung kontaktiert, die zugunsten Ludwigs agiert und ihm zur Flucht verhelfen will. Aufgrund bestimmter Anzeichen wird sie von der Kaiserin Sissi unterstützt, die aber inkognito bleiben muss. Das Vorgehen dieser verbliebenen Getreuen Ludwigs wird von der Autorin eher zurückgenommen, aber sehr einfühlsam dargestellt: gerade in diesem Punkt zeigt sie ein hohes Maß an erzählerischen Qualitäten.

Zeitgleich mit Hornigs Rückkehr von Gastein überstürzen sich die Ereignisse: Ein erster Versuch der Festnahme Ludwigs durch eine Kommission von Staatsbeamten mit dem Arzt von Gudden ist vom König selbst am Vortage (dank einer Warnung) gerade noch abgewendet worden. Dennoch erreicht Hornig den König nicht mehr; an seinem Sitz in Hohenschwangau eingetroffen findet er nur noch einen seiner Getreuen, der ihm von der definitiven Festsetzung Ludwigs durch eben diese Kommission berichtet. Ludwig habe seinerseits das Angebot der Fluchthilfe ausgeschlagen, habe (angesichts starker Polizei- und Militärpräsenz) ein Blutvergießen vermeiden wollen. Am selben Tag (dem 10. Juni 1886) ist die Regentschaft dem Prinzregenten Luitpold übertragen worden - die letzten drei Tage im Leben Ludwigs haben begonnen.

Was folgt, ist von außerordentlicher Dichte und überaus fesselnd beschrieben; ohnehin wird, wer bis zu diesem Punkt gelesen hat, das Buch nicht mehr aus der Hand legen können. Offizielle Versionen und Legenden einmal beiseite gelassen: die Autorin, in der Rolle von Ludwigs Vertrautem Hornig, überlässt es dem Leser, sich aus der Fülle der Ereignisse selbst ein Bild von den mutmaßlichen Fakten und ihren Hintergründen zu machen. Noch einmal erblickt Hornig, sich heimlich vom See nähernd, Ludwig im Gespräch mit von Gudden vor Schloss Berg, das ihm zum Gefängnis geworden ist. Es ist am Vormittag des Tages, den die beiden nicht überleben werden. Hornig glaubt nicht an die verbreitete Version, wonach Ludwig und von Gudden miteinander kämpfend im See ertrunken seien - zu viele Ungereimtheiten sprechen dagegen.

Nach dem Bekanntwerden vom Tod Ludwigs wird Hornig zweimal die Bitte verweigert, diesen nochmals sehen zu dürfen, während die Bevölkerung sich in Scharen Zugang verschafft. Der Leser muss nicht viel rätseln, um dafür Gründe zu entdecken. - Vermutlich gibt es noch andere Sichtweisen auf König Ludwig als die, die ihm fast zum Heiligen stilisieren. Man muss der Autorin auch nicht in jeder Hinsicht folgen, wenn sie, vom Buchtitel angefangen, am Leben Ludwigs unverkennbar eine Beziehung zur Passion Christi spürbar werden lässt. Besonders deutlich im Verlauf der letzten drei Tage, von der Festnahme bis zum Auffinden des Leichnams und dem, was sich noch danach, bis hin zur Trauerzeremonie ereignet.

Was an der gesamten Erzählung ihrer dichterischen Freiheit entspringt, formt zusammen mit dem Grundbestand an historisch gesicherten bzw. nachprüfbaren Tatsachen (die Grenze zwischen beidem muss oder will der Leser gar nicht unbedingt erkennen) eine bruchlose, erzähltechnisch großartig gelungene Einheit. Auch stilistische Qualitäten, die Bildhaftigkeit der Sprache und viele Details, nicht zuletzt die treffenden Äußerungen im bairischen Dialekt machen die Lektüre dieses Buches zu einem bewegenden Erlebnis.

Wolf Dietrich Förster
18. 05. 2014

 

Ein Leben zwischen Krone und Dornen

LUDWIG II, ein Buch, das berührt und nachdenklich stimmt. Der exklusive Zugang der Autorin zu den Tagebucheintragungen von Richard Hornig, König Ludwigs Stallmeister, hat eine neue Sichtweise ermöglicht.

Beim Studium dieser Originaldokumente gelingt es Barbara von Braun, dem Menschen Ludwig nachzuspüren und auf subtile Weise dem Leser die Weisheit seines Herzens nahezubringen. Ihre Wahrnehmung über jenen umstrittenen Bayernkönig bemüht nicht Größenwahn, erotische Exzesse und endgültiges Scheitern durch Mord oder Selbstmord. Sie braucht keine Sensationen! Den Mythos Ludwig begreift sie im Erahnen der Tiefe seines Menschseins. So legt sie hier ein genau dokumentiertes neues Menschen- und Lebensbild vor.

In dem in erster Linie so gern tradierten "Wahnsinn" Ludwigs, der in den späten Jahren in manchen seiner Verhaltensweisen seine Berechtigung finden mag, erkennt die Autorin stattdessen auch die Großartigkeit Ludwigs. Mit besonderem Einfühlungsvermögen in diesen verwundbaren Geist reflektiert sie die Tragik seines Lebens. Es ist historisch nie gefragt worden, aus welchen Qualen heraus seine Seele derart erkrankte. "Die Schätze eines reichen Herzens in sich begraben zu müssen, wo sie ihn erstickten ...",wie Barbara von Braun schreibt, zwingen zum Nachdenken.

Ludwigs Lebensmaxime waren der Wahrheit, der Aufrichtigkeit und dem Mut verpflichtet. "Sein Ernst war verlässlich, seine Munterkeit wie dünnes Eis." Während viele Herrscher das Land durch Kriege ausbluteten, hasste er jegliche Kriegsführung und lebte, ohne zunächst seine staatsmännischen Pflichten zu vernachlässigen, dem Schöngeistigen. Sein Glaube war ihm Gebot. Seine Menschlichkeit, im Besonderen den Bedürftigen gegenüber, aus dieser gläubigen Liebe erwachsen. Er war ein Einsamer, ein ewig nach Liebe suchender Mensch. Die Königskrone drückte wie Dornen auf Haupt und Seele.

Seine Märchenschlösser, durch feindselige Machenschaften von Staat und Hof allein dem Wahnsinn zugeschrieben, bereichern heute sein geliebtes Land und dienen dem Freistaat Bayern mit hohen Einnahmen nationaler und internationaler Touristenströme. Die erotische Komponente Ludwigs zu seinem Stallmeister Hornig wird von Barbara von Braun in Zartheit und Reinheit beeindruckend erzählt. Dabei hat sie die Qual "der Sünde", die die Liebenden stets begleitete, glaubwürdig vermittelt. Die tiefe seelische Verbindung zwischen "Herrscher und Knecht" hielt bis zum Tode Ludwigs und darüber hinaus.

Aus der Hand der Autorin stammt das auf der Titelseite gezeigte Portrait Ludwigs, das die zu Lebzeiten so oft beschriebene Magie seines Blickes ausdrucksstark wiedergibt. Und sind nicht die Augen der Spiegel der Seele?

Ingrid R. Donath
28.04.2014

 

Zwischen Vagheit und Gewißheit

"Geschriebenes hat ein Schicksal", findet sich auf der letzten Seite des vorliegenden Buches. Tagebücher sind etwas Besonderes unter den schriftlichen Aufzeichnungen. Sie umgibt die Aura des Persönlichen, Intimen, Geheimen, das von Belang und Bedeutsamkeit.

Am 17. März 1886 schreibt der bei Hofe angestellte Stallmeister Richard Hornig, dass etwas Unfassbares geschehen sei. "Man hat dem König mit Hilfe von gewonnenen Domestiken ... seine geheimen Tagebücher entwendet. Armer Ludwig, nun ist er vor keiner Niedertracht mehr sicher!"

Wessen Tagebücher werden hier öffentlich gemacht? Die des Stallburschen aus Malchin in Mecklenburg oder die des Bayern-Königs Ludwig II. (1845-1886)? Oder handelt es sich um die literarische Erfindung der Autorin Barbara von Braun-Lacoste, die nach gründlichem Studium aller erreichbaren Quellen ein tief beeindruckendes Bild der Persönlichkeit des jungen Monarchen zeichnet? Wie auch immer.

"Du stellst es dir vielleicht einfach vor, König zu sein", sagt dieser zu Richard H., mit dem ihm zunehmend eine innige Freundschaft verbindet - jedoch: ein Leben auf Verlust an Freundschaft, Liebe, gekettet an Thron und Etikette, ausgeliefert den Intrigen des Hofes, insbesondere der Königin-Mutter und ihrer mit Vehemenz verfolgten Absicht, seine Ehe mit Herzogin Sophie durchzusetzen, was ihr nicht gelingt. Auf politischer Bühne belastet ihn der Bund Bayerns mit Preußen gegen Frankreich. Der Krieg fordert Tausende Menschenleben bei Sedan.

Der innere Konflikt ist der physischen und geistig-emotionalen Verfassung des Königs nicht zuträglich. Die Widersprüchlichkeit in seinem Wesen verdichtet sich zunehmend, wie die Autorin vielfach und überzeugend darzustellen vermag: Jähzorn und Herzensgüte, Übermut und Verzweiflung, Lebensfreude und Todessehnsucht, ... Seine besondere Vorliebe für die Urkräfte der Natur, für Kunst und Architektur, für Literatur und Musik verstärkt die Probleme.

Ludwig ist Mäzen Richard Wagners, den er als Komponisten ungemein schätzt und verehrt. Vielleicht gingen ihm, der fromm und streng erzogen, auch die andauernden Skandale des Meisters auf die Nerven. Sie zu verstehen und gar zu verzeihen, fiel ihm schwer. Doch der rastlose Wagner schuf ein Meisterwerk nach dem anderen - "Die Meistersinger", "Rheingold", "Walküre" und vollendete den gesamten "Nibelungenring". Ludwig erlebte in Bayreuth die Erstaufführung des Zyklus. "Dort nahm ihn noch einmal die Begeisterung auf die Schwingen, erlebte er die Anerkennung für ein Werk, dem er so viel geopfert hatte", so die Worte der Autorin.

Doch selbst verschuldet dank seiner Bauten, die mehr "Schöpfungen als Wohnstätten", gerät Ludwig mehr und mehr in Abhängigkeit. Obwohl er eine Föderation anstrebte, ergriff er nach außen die Initiative zur Kaiserproklamation 1871, so dass Bismarck ihm finanzielle Hilfe leistete, um seine Bauleidenschaft fortzuführen - Neuschwanstein und Herrenchiemsee. Ebenso sucht er in Frankreich Unterstützung. Doch die Umgestaltung der deutschen Staaten zum Kaiserreich unter der Hegemonie Preußens war nicht seines Sinnes. Verärgert und verzweifelt wurde er krank, so dass er den Verhandlungen über die Reichsverfassung fernblieb. Ludwig verlor an Geltung, erfuhr Häme und Verdruss.

Immer häufiger und heftiger wurden die Anfeindungen seitens des bayrischen Hofes und frecher die Verdächtigungen unter der Vorgabe, sein geheimes Tagebuch zu besitzen, das ihn und den Stallmeister belasten sollte, der auszusagen verweigerte. Ludwig wurde selbst von den Bediensteten in seinen Gemächern nicht mehr respektiert, seine Zurechnungsfähigkeit bisweilen infrage gestellt. Psychiatrische Untersuchungen und politische Intrigen vermischen sich. Flucht. Und schließlich der mysteriöse Tod. Die wahren Vorgänge bleiben im Bereich von Zweifel und Verdacht. Richard Wagner hatte das Requiem für einen Lebenden geschrieben: Ludwig II. Gott würdigte ihn durch seinen unverdienten Tod.

Barbara von Braun-Lacoste gelingt es in "LII. Ein Leben zwischen Krone und Dornen" hervorragend, die private Sphäre des Königs in Einheit und Widerstreit mit den gesellschaftlichen und historischen Gegebenheiten seiner Zeit für den Leser erlebbar zu machen. Von geistiger Frische, sprühender Sinnesfreude und emotionaler Tiefe ist das Werk getragen. Die Sprache ist reich und schön. Soll das Werk die Meisterin loben!

Dr. Peter Posse
21.10.2013

 
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Das Buch:

Barbara von Braun-Lacoste: LII. Ein Leben zwischen Krone und Dornen

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2013
466 S., € 29,80
ISBN: 978-3-8372-1303-4

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