Biographie

Philologische Feierstunde

Als seinen "Hausschatz" bezeichnet G?nter Grass das
Grimm?sche W?rterbuch, und so nimmt es nicht Wunder, dass der Literaturnobelpreistr?ger wenige Wochen vor seinem 83. Geburtstag am 16. Oktober dieses Jahres jenem vermutlich gr??ten und ehrgeizigsten Projekt der Sprachgeschichte des Deutschen ein literarisches Denkmal in Form einer ganz besonderen "Liebeserkl?rung" zwischen zwei Buchdeckeln machen m?chte. "Wortvernarrt" begleitet Grass die Gebr?der Grimm bei der Bew?ltigung dessen, was sie sich auf den Vorschlag der Leipziger Verleger Karl Reimann und Salomon Hirzel hin zur Aufgabe gemacht hatten, und wirft in "Grimms W?rter" unterdessen - nach den autobiographischen Werken "Beim H?uten der Zwiebel" von 2006 und "Die Box" (2008) bereits zum dritten und nach eigener Aussage wohl letzten Mal - Seitenblicke auf sein eigenes bewegtes Leben. 

Dies tut Grass in neun beredten Kapiteln, die, wie es einem "W?rter-Buch" geziemt, alphabetisch geordnet sind, wobei der Autor den ersten sechs Abschnitten von A bis F - welche die Br?der binnen der ihnen gesetzten Lebensfrist noch selbst bearbeiten konnten - das K, das U und zum guten Schluss das Z anh?ngt. Und tats?chlich l?sst der eloquente Sprachvirtuose innerhalb der einzelnen Kapitel die jeweiligen Buchstaben dominieren, indem er von ihnen beherrschte Themen abhandelt und seine "Liebeserkl?rung" aus Lexemen des gro?en W?rterbuchs der Grimms kolportiert. 

Im schwerwiegend leichten Erz?hlton begibt sich G?nter Grass wie ein kommentierender altv?terlicher M?rchenerz?hler an die Seite von Jacob und Wilhelm Grimm und blickt ihnen bei der aufw?ndigen Spurensuche im Dickicht des Deutschen, die vor allem der Sprachgeschichtsforscher Jacob von Anfang an auf sich nahm, ?ber die Schulter und beschw?rt deren Gemurmel beim Bedenken der von ihnen in einem so umfangreichen Lexikon aufzuf?hrenden W?rter herauf, das zur intensiven Lebensaufgabe wurde, deren Bewerkstelligung ihre Sch?pfer weit ?berdauern sollte. 

Nun liegt es jedoch wohl im Wesen des streitbaren Schriftstellers, dass er nicht nur offensichtliche L?cken in der lexikalischen Auswahl seiner Grimm?schen Lieblinge mit althergebrachtem und modernem Wortgut ausf?llen m?chte, sondern auch Bez?ge zwischen wichtigen Eckpfeilern der ?ra der Grimms und seines eigenen Leben herstellt. Als bekennender Sozialdemokrat tut Grass dies nat?rlich immer unter besonderer Ber?cksichtigung der sozialhistorischen Dimension. So politisiert er eigensinnig ?ber die Ausweisung der "G?ttinger Sieben", die Revolution von 1848, den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit im Kontext seines Werkes und schickt den Leser auf einen sprachgewaltigen Parforce-Ritt durch die Geschichte, dessen Quintessenzen der Sprachk?nstler in diversen denkansto?enden Gedichten zusammenfasst, die hier und da in "Grimms W?rtern" lauern. 

Der autobiografische Hauch wird bei Grass dabei des ?fteren zu einem starken Wind, der dem Leser in Form von literarischen Anspielung auf eigene Werke und Erinnerungen an vom Autor Selbsterlebtes ins Gesicht schl?gt und auch Unangenehmes zur Sprache bringt, dessen An- und Aussprache Grass nie m?de geworden ist. In diesem Sinne feiert G?nter Grass mit "Grimms W?rter" die deutsche Sprache, welche ihm als Schriftsteller Werk- und Spielzeug ist, die Br?der Jacob und Wilhelm Grimm, die mit ihrem W?rterbuch dieser Sprache ein "hehres Denkmal" zu setzen versuchten, und nicht zuletzt sich selbst, als den, der er nun einmal ist. Und da der Ruhm des Dichters wie die Arbeit am gro?en "Deutschen W?rterbuch" der Gebr?der Grimm l?nger als ein Menschenleben w?hrt, ist?s mit beidem wohl noch lange nicht zu Ende! 

Christian G?tz 
06.09.2010

 
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Das Buch:

Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung. Mit farbigen Vignetten von Günter Grass

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Göttingen: Steidl Verlag 2010
368 S., € 29,80
ISBN: 978-3-86930-155-6

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