Biographie

Der Weg zum Menschen

Acht Jahrhunderte auf dem Weg zu menschlichem Miteinander und sozialer Gerechtigkeit, dargestellt in vierzig Kurzbiographien bekannter und weniger bekannter "Schlüsselfiguren der Geschichte" - es ist eine Zeitreise der ganz besonderen Art, zu der uns Dieter Gellhorn einlädt. Auf dem Weg vom 13. Jahrhundert Friedrichs II. bis zur Gegenwart lernen wir die Menschen hinter den berühmten Namen kennen. Dabei werden die Urgründe und Motive ihres Handelns, ihre Stärken, Schwächen und Zweifel ebenso evident, wie neue und oftmals verblüffende Details aus ihrem Leben.

Jeanne d`Arc, Jungfrau mit Visionen und leuchtendes Beispiel weiblicher Willenskraft - den Franzosen schenkt sie das Nationalgefühl, jedem einzelnen Menschen den Mut zu einem selbstbewussten Leben. Mit nur 20 Jahren stirbt sie auf dem Scheiterhaufen. Ein tragisches Frauenschicksal - und doch sind es acht Jahrhunderte der Männer, in die uns der Autor führt. Neben der Jungfrau von Orléans finden nur wenige Frauen einen exponierten Platz in der vorliegenden Auswahl: Christine von Schweden, Rosa Luxemburg ("Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!") und die verführerische "schwarze Venus" des Charleston, Josephine Baker, die Waisenkinder aller Hautfarben in ihre "Regenbogenfamilie" aufnimmt, nachdem sie selbst Diskriminierung, Vergewaltigung und Schläge erfahren hat. Um Frauen geht es auch gleich zu Beginn unserer Zeitreise:

Friedrich II. von Staufen - er steht für die Gleichheit aller vor dem Gesetz, für weitgehende Religionsfreiheit, aber eben auch für das Erbrecht der Frau, ja selbst für den Rechtsschutz Prostituierter vor Vergewaltigung. Manchen mag das überraschen.

Mensch und Religion

Christoph Kolumbus entdeckt 1492 jenes Land, das 450 Jahre später den Juden zur rettenden Zuflucht werden soll. Finanziell unterstützt wird die Expedition von einem jüdischen Kaufmann - Schicksal oder göttliche Fügung?

Thomas Müntzer - seine Utopie ist die Abschaffung sozialer Unterschiede, der geistigen und weltlichen Obrigkeit und der Ehe! Letztere Forderung findet sich gut drei Jahrhunderte später bei Leo Tolstoi wieder.

Albrecht Dürer und Tilman Riemenschneider setzen die individuelle Persönlichkeit des Menschen über dessen Standeszugehörigkeit. Dürer bringt es in Gesichtern zum Ausdruck, Riemenschneider zeigt Adam und Eva in "jugendlich schöner Körperlichkeit" - nackt!

Johannes Kepler, Gottfried Wilhelm Leibnitz und Charles Darwin verbindet der Gedanke, dass Forschung, Wissenschaft und Kunst nichts anderes sind als klärende, immer tiefere Einblicke in die Schönheit der Schöpfung.

Ein früher Tod

Immer wieder begegnet uns dieses Schicksal auf der Reise durch die Jahrhunderte. Wolfgang Amadeus Mozart, dessen letztes Werk ausgerechnet ein Requiem ist, stirbt mit nur 35 Jahren. Noch weniger Zeit (27 Jahre) bleibt dem jungen Maler August Robert Macke, aus dessen tiefer Liebe zu seiner Frau ihm künstlerische Größe erwächst. Er fällt 1914. Viel zu früh findet auch das Schaffen eines Mannes sein jähes Ende, der sich als wahrer Mensch den Menschen zuwendet: Albino Luciani. Nur 33 Tage erstrahlt das Lächeln von Papst Johannes Paul I. im Vatikan.

Leben, Freiheit und Glück

Mit Thomas Jefferson betritt ein Mann die Bühne der Geschichte, der als Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der USA die natürlichen, von Glaube und Religion unabhängigen Menschenrechte auf Leben, Freiheit und Glück zur staatlichen Verpflichtung erklärt. Doch bleibt auch er ein Mann seiner Zeit, hält sich Sklaven, Schwarze, die er zwar menschlich behandelt, denen diese Rechte aber dennoch verwehrt bleiben. Viel später erst wird Martin Luther King zur Symbolfigur des gewaltlosen Kampfes gegen die Rassentrennung. Gewaltlosigkeit verbindet ihn mit Leo Tolstoi und Mahatma Gandhi.

David Livingston, Charles Lindbergh, Michi-no-miya Hirohito, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und John Lennon – sie alle trennen Welten, Zeiten und Räume. Dennoch finden sich zwischen ihnen immer wieder überraschende Berührungspunkte.

Jomo Kenyatta, erster Staatspräsident des unabhängigen Kenia ist überzeugt von einer mystischen Verbindung der Stammesgesellschaft mit den Ahnen und Ungeborenen. Äußeres Zeichen dieses Urglaubens ist ihm die Beschneidung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Genitalien (Klitorisbeschneidung) – ein glatter Verstoß gegen Menschenrechte! Ausgerechnet er versucht einen "afrikanischen Sozialismus". Die ineinandergreifende Welt der Arbeit soll Rivalitäten zwischen den Stämmen, zwischen Muslimen, Christen und Naturreligionen überbrücken. 

Für die großen Irrtümer der vergangenen beiden Jahrhunderte mit all ihren katastrophalen Folgen für die Menschen stehen Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Mao Tse Tung mahnend am Rande des Weges der Geschichte. Wohin führt dieser Weg? Pablo Picasso malt hässliche Menschen, Maschinenmenschen, angetrieben von ihren Begierden. Entartete Kunst nennen es die Nazis. Zeigen diese Bilder unsere "innere Wesenheit"?

Ist der Mensch reif für die Freiheit? Alexander Solschenizyn sieht die Welt von unten. Im Gulag wird die Hölle Wirklichkeit. Er überlebt und lernt im Land Thomas Jeffersons die Freiheit kennen. Als Letzter der vierzig Auserwählten  gibt er uns eine Warnung mit auf den Weg: "Die Freiheit neigt sich zur Seite des Bösen…!"

Dieter Gellhorns Texte sind anspruchsvoll, hervorragend recherchiert und flüssig lesbar. Die Verdichtung auf das Wesentliche, immer wieder auftauchende überraschende Details und Zusammenhänge machen sein Buch durchweg spannend und überaus interessant. Durch die geschickt gewählte dreigliedrige Darstellungsweise der einzelnen Portraits erscheint das Werk bestens geeignet für Schule und Studium.

Den einzelnen Texten stellt der Autor jeweils brillant ausgewählte Zitate voran, welche den Leser auf die folgenden Seiten einstimmen. Eine ebenso poetische wie treffende Quintessenz bildet den Ausklang einer jeden Kurzbiografie. 

"Schlüsselfiguren der Geschichte" – ein höchst lesenswertes, allgemeinbildendes Werk, das Wissen auf spannende Weise erlebbar macht und zum Weiterdenken anregt.

Mario Lichtenheldt
03.08.2009

 
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Das Buch:

Dieter Gellhorn: Schlüsselfiguren der Geschichte. 40 Kurzbiografien

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2009
412 S., € 19,80
ISBN: 978-3-837-20434-6

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